Montag, 20. Februar 2012

Der Diffamierungsbeauftragte

Vor Gericht wird regelmäßig durch blutleere Schriftsätze einhergehend mit substanzlosen und abgedroschenen Floskeln gestritten. Das Bestreiten mit "äußerstem Nachdruck" oder "aller Vehemenz" erfreut sich unter fantasielosen Kollegen hoher Beliebtheit. Bisweilen wird einem Prozess jedoch Kreativität durch Äußerungen der Parteien selbst eingehaucht, die gar über das Ziel hinausschiessen, eigenen und berechtigten Interessen in einem Zivilprozess Gewicht zu verleihen.

So äußert sich die Klägerin eines Räumungsrechtsstreits persönlich in einem von ihren Prozeßbevollmächtigten als Anlage beigefügten Schreiben wie folgt: "Die Kündigung war weder rechtswidrig noch rechtsmissbräuchlich, wie der Diffamierunsbeauftragte der Beklagten ausführt."

Muss man es als Rechtsanwalt hinnehmen, sich von der gegnerischen Partei als Diffamierunsbeauftragter bezeichnen zu lassen?

Das Bundesverfassungsericht hat mit Beschluss vom 11.04.1991, Aktenzeichen 2 BvR 963/90, eindeutige Worte gefunden, die auch in vorliegendem Fall Klarheit verschaffen sollten:

"Der Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 67, 208 [211]). Er umfaßt die Befugnis, sich zur Rechtslage zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen (vgl. BVerfGE 64, 135 [143 f.]). Seine Ausstrahlungswirkung ist über den engeren Gewährleistungsinhalt des Art. 103 Abs. 1 GG hinaus zu beachten, wenn es um die Frage geht, inwieweit ein Prozeßbeteiligter wegen ehrverletzender Äußerungen, die er in einem gerichtlichen Verfahren zur Wahrung seiner Rechtsposition abgegeben hat, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden darf. Denn die Gefahr einer Strafverfolgung wirkt mittelbar auf die Wahrnehmung des Rechts zurück. Der strafrechtliche Ehrenschutz darf jedenfalls nicht dazu zwingen, eine rechtserhebliche Tatsachenbehauptung aus Furcht vor Bestrafung nach § 186 StGB zu unterlassen, weil nicht vorauszusehen ist, ob die behauptete Tatsache bewiesen werden kann. Deshalb darf die in einem Zivilprozeß vorgetragene Behauptung einer ehrverletzenden Tatsache, die nicht der Stimmungsmache gegen einen anderen Prozeßbeteiligten dient, sondern aus der Sicht der Partei als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozeßerheblich sein kann, nicht schon deshalb strafrechtlich geahndet werden, weil sich später nicht aufklären läßt, ob die Behauptung wahr ist. Eine solche Behauptung muß freilich mit Blick auf die konkrete Prozeßsituation zur Rechtswahrung geeignet und erforderlich erscheinen sowie der Rechtsgüter- und Pflichtenlage angemessen sein (vgl. BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], aaO.). Insbesondere die Art und Weise des Vortrags muß auf die Ehre des Betroffenen Rücksicht nehmen. Dabei dürfen allerdings keine zu engen Grenzen gezogen werden. Wertende Äußerungen über Verhalten und Person des anderen Prozeßbeteiligten stehen auch im Prozeß grundsätzlich unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Der subjektive Charakter einer gegenüber einem Gericht abgegebenen Stellungnahme bedingt, daß sich ein Verfahrensbeteiligter zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt und insbesondere dem Verhalten der Gegenseite unter Umständen auch mit drastischen Worten äußern darf. Im "Kampf um das Recht" darf ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen. Nicht entscheidend kann sein, ob er seine Kritik anders hätte formulieren können, denn grundsätzlich unterliegt auch die Form der Meinungsäußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 76, 171 [192]). Im kontradiktorischen Zivilprozeß ist der Gegner gegenüber solchen Ausführungen, auf die er erwidern kann, nicht schutzlos gestellt. Allerdings setzt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch der Zulässigkeit solcher Äußerungen Grenzen, die in einem gerichtlichen Verfahren gemacht werden (vgl. BVerfGE 24, 278 [286]). Danach ist mißbräuchliches Vorbringen nicht durch § 193 StGB gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 11, 343 [348]). Abgesehen von bewußt unwahren Tatsachenbehauptungen gilt dies in Anlehnung an die zivilgerichtliche Rechtsprechung für ehrverletzende Äußerungen, die in keinem inneren Zusammenhang zur Ausführung oder Verteidigung der geltend gemachten Rechte stehen oder deren Unhaltbarkeit ohne weiteres auf der Hand liegt (vgl. BGH, NJW 1971, S. 284 f.)."

Die Bezeichnung des gegnerischen Prozeßbevollmächtigten als Diffamierungsbeauftragter dürfte die Grenze zur straflosen Wahrung eigener Rechte überschreiten, denn es ist nicht ersichtlich, inwiefern die abwertende Bezeichnung des gegnerischen Anwalts in der Sache und damit zur Verteidigung geltend gemachter Rechte dienlich sein könnte.

2 Kommentare:

  1. Nun mal nicht so dünnhäutig, Herr Kollege!

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  2. "Vor Gericht wird regelmäßig durch blutleere Schriftsätze einhergehend mit substanzlosen und abgedroschenen Floskeln gestritten."

    Da weiß einer aber GANZ genau, wovon er redet. :-DD

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