Freitag, 13. Juli 2012

Vorhautcaust

Die Konferenz Europäischer Rabbiner betrachtet das Urteil des Landgerichts Köln vom 07.05.2012, Az.: 151 Ns 169/11, wonach die medizinisch nicht indizierte Beschneidung eines Kindes ein rechtswidriger Eingriff sei, als schwersten Angriff auf jüdisches Leben in Deutschland seit dem Holocaust.

"Ein Verbot der Beschneidung stellt die Existenz der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland infrage", äußerte der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner in Berlin. Auf eine erneute Anklage und anschliessende höchstrichterliche Entscheidung wollen die Rabbiner nicht warten. Auch nach dem Kölner Urteil würden die von den Synagogen bestellten Beschneider die Entfernung der Vorhaut von Knaben fortsetzen. Dieser unverhohlene Willen zum Rechtsbruch korrespondiert mit einer Äußerung des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, in einem Gespräch mit dem FOCUS: „Die Beschneidung ist für den jüdischen Glauben absolut elementar und nicht verhandelbar“.

Verhandelbar ist jedoch glücklicherweise das Grundrecht von Kindern auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung, so dass muslimische und jüdische Gläubige darauf vertrauen dürfen, sich nur für eine Übergangsfrist strafbar zu machen. Wie der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel, Andreas Michaelis, in einem eilig verfassten Schreiben vom 9. Juli 2012 zum Kölner Beschneidungsurteil an Knessetpräsident Rivlin äußert, wird die Bundesregierung "das Urteil sorgfältig analysieren und mögliche Konsequenzen dieser Einzelfallentscheidung in Ruhe prüfen."

Damit ist klar ersichtlich, dass nach der parlamentarischen Sommerpause eine gesetzliche Regelung geschaffen wird, damit Juden und Muslime in Deutschland in Zukunft wieder straffrei Stücke von Kinderpimmeln abschneiden dürfen.  

12 Kommentare:

  1. Dann bitte Religionsfreiheit für alle und auch eine gesetzliche Straflosstellung der vier Typen der Beschneidung weiblicher Genitalien:

    Typ I (auch „Sunna“ oder „Sunnah“): teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris (Klitoridektomie) und/oder der Klitorisvorhaut (Klitorisvorhautreduktion).

    Typ II: teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris und der inneren Schamlippen mit oder ohne Beschneidung der äußeren Schamlippen (Exzision).

    Typ III (auch Infibulation): Verengung der Vaginalöffnung mit Bildung eines deckenden Verschlusses, indem die inneren und/oder die äußeren Schamlippen aufgeschnitten und zusammengefügt werden, mit oder ohne Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris.

    Typ IV: In dieser Kategorie werden alle Praktiken erfasst, die sich nicht einer der anderen drei Kategorien zuordnen lassen. Die WHO nennt beispielhaft das Einstechen, Durchbohren, Einschneiden (Introzision), Abschaben sowie die Kauterisation von Genitalgewebe.

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  2. @Anonym: Geschmacklos. @Ralf Möbius: Ich finde, Sie sollten Ihren Ton überdenken ("Stücke von Kinderpimmeln abschneiden"). Er würdigt eine religiöse Praktik (so eine ist die von Anonym erwähnte weibliche "Beschneidung" nicht) herab, indem er sie auf eine verbale Primitivebene stellt, auf die sie nicht gehört. Im Judentum macht die Thora eine klare Vorgabe. Wer als Mann nicht beschnitten ist, kann kein Jude sein ("aus dem Bund ausgeschlossen"). Der Eingriff dagegen liegt sicher nicht ganz, aber eben fast auf dem Niveau des Ohrlochstechens bei kleinen Mädchen. So etwas mit "Kinderpimmel abschneiden" zu belegen, ist würdelos. Es ist auch nicht irrelevant, dass ausgerechnet die Glaubengemeinschaft getroffen wird, die in Deutschland und von Deutschen praktisch vernichtet wurde. Nur 10% aller Beschneidungen sollen in Deutschland an jüdischen Jungen vorgenommen werden, 90% entfalen auf Muslime. Die sind rechtlich übrigens flexibler, weil es kein entsprechend klares Religionsgebot gibt - eine sehr starke Tradition und sehr starke religöse Empfehlungen schon; dort sind die Kinder auch wesentlich älter. Finden Sie nicht, dass man darüber anders reden muss als mit entsetzliche Vokabeln wie "Vorhautcaust"? Denn richtig ist, dass damit ein jüdischer Kernritus ausgerechnet in Deutschland strafrechtlich verfolgt wird. Läuft es Ihnen da nicht kalt den Rücken hinunter? Man kann differenzierter und anders darüber denken, sollte dann aber extrem sachlich bleiben. Das ist hier misslungen.

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  3. @ Wolf J. Reuter: Ich finde, der Autor hat genau den richtigen Ton getroffen, und nur zur Erinnerung: Der Holocaust ist in dieser Diskussion von der Rabbinerkonferenz ins Spiel gebracht worden. Das ist ein derartiger Missgriff - immerhin verhöhnen sie damit Millionen ihrer im dutzendjährigen Reich ermordeten Glaubensgenossen -, dass man über ihre Ansichten durchaus in einer gewissen ironischen Weise schreiben kann. Disqualifiziert haben sich die Herrschaften ja selber schon.

    Wenn sich eine Religion dadurch definiert, dass es zur Körperverletzung kleiner, wehrloser Babies keine Alternative gibt, dann hat diese Religion in einer aufgeklärten Welt nichts verloren. Und wenn dies das Judentum aus Deutschland/Europa vertreibt, dann mag das vor historischem Hintergrund zwar unglücklich wirken, aber dann ist das eben so.

    Wo soll man die Grenze ziehen? Würdest du dem Katholizismus erlauben, rothaarige Frauen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, wenn es heute noch "Tradition" wäre?

    Die Eltern sollen an sich selber soviel abschneiden, wie sie wollen. Aber Religion kann niemals eine Körperverletzung eines Kindes rechtfertigen.

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    1. Für Sie gilt dasselbe wie den anderen Anonymus, der sich lieber nicht namentlich äußert:

      1. Es gibt seit Geltung des GG jedenfalls keine Katholiken, die rothaarige Frauen verbrennen. Das Problem stellt sich nicht.
      2. Eine Tradition ist nicht nach Art. 4 Abs. 2 GG geschützt. Ein religiöser Ritus aber schon. Das hatte ich am zahlenmäßig größeren Phänomen muslimischer Beschneidungen festgemacht - da kann man diskutieren, ob es ein Ritus oder nur Tradition ist. Bei Juden eben nicht.
      3. Wollen Sie Juden vertreiben?
      Ich habe mir allerdings vorgenommen, - wie in anderen Zusammenhängen auch von mir praktiziert - diese Debatte nur mit Leuten weiterzuführen, die nicht die Anonymität des Netzes dafür brauchen, sondern wenigstens eine Namen haben.

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  4. @Wolf J. Reuter: Die Klitoris-Beschneiderinnen genießen in ihrem Kulturkreis einen hohen gesellschaftlichen und sozialen Status. Die Anfänge weiblicher Beschneidung reichen 5000 Jahre zurück und wurde wohl bereits am Beginn der Menschheitsgeschichte durchgeführt. Herodot berichtet im 5. Jh. v. Ch. von der weiblichen Beschneidung bei den Äthiopiern, Ägyptern, Phöniziern und Hetitern. Traditionell gibt es in Afrika erhebliche Unterschiede. Massai werden erst kurz vor der Hochzeit beschnitten. Bei Stämmen in Westafrika werden die Mädchen erst während der ersten Schwangerschaft beschnitten. In Ostafrika liegt es bei 6 bis 7 Jahren. Aus Abessinien ist bekannt dass die Beschneidung im Alter von 8 Tagen vollzogen wurde. Für die Araber galten einige Wochen als der günstige Zeitpunkt. Straflose Beschneidung für Alle!

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    1. Sie missverstehen leider völlig, worum es geht. Art. 4 Abs. 2 GG schützt die Freiheit der Religionsausübung. Dieses Grundrecht ist in die Abwägung bei der Strafbarkeit einzustellen. Der Begriff "Kulturkreis" hat übrigens eine Vielzahl von Problemen, die zu seiner Ablehnung - bereits seit Jahrzehnten - in der Geisteswissenschaft geführt haben. Ein kulturelle "Tradition" ist aber eben nicht von Art. 4 Abs. 2 GG geschützt. Ein religöser Ritus schon. Geschmacklos, aber vor allem unsachlich, ist die verbale Gleichstellung von Klitorisbeschneidungen und den hier in Rede stehenden religiösen Handlungen. Weder der Eingriff noch das Rechtsproblem sind vergleichbar. Aber ich habe einfach das Gefühl, dass sei Ihnen ohnehin egal...

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  5. Werter Kollege Reuter, ich habe meinen Ton überdacht. Während Sie dem "Kinderpimmel" als Wort einen unsachlichen und primitiven Duktus zuordnen, verbinde ich damit eher eine kindliche Redewendung. Und genau darum geht es in diesem Zusammenhang auch. Um kleine Jungs, für die ein unverletzter Pimmel eine Bedeutung hat, nicht jedoch eine Zirkumzision, deren Bedeutung und Tragweite ihnen gar nicht klar sein kann. Das Wort Zirkumzision schafft eine künstliche Distanz zu einem Vorgang, der mit "Stück vom Pimmel abschneiden" allemal deutlicher beschreiben und damit wesentlich näher an der Wahrheit ist, als der Terminus Zirkumzision.

    Relgionsfreiheit und Ziskumzision sind abstrakte Worte, die einen Abstand zu Blut, Schmerz und Verlust schaffen und es damit den Entscheidern in Recht und Politik leichter machen, mit Forderungen und Gesetzen über individuelles Leiden zu entscheiden. Die Freiheit mich dieser distanzierenden Wortwahl zu entsagen, nehme ich mir. Und damit würde ich meine Wortwahl auch nicht als unangemessen bezeichnen. Mir läuft es auch nicht kalt den Rücken runter, wenn es ein Gericht schafft, sich den Blick auf den Vorrang der körperlichen Unversehrtheit der Kinder der Gegenwart nicht von Hypotheken der Vergangenheit verstellen zu lassen.

    Wenn die Konferenz Europäischer Rabbiner das Urteil des Landgerichts Köln als als schwersten Angriff auf jüdisches Leben in Deutschland seit dem Holocaust bezeichnet, liegt für mich die Bezeichnung "Vorhautcaust" in ihrer Doppeldeutgkeit auf der Hand - einmal um zu zeigen, dass der von der Konferenz gezogene Vergleich einen Sachverhalt zum Holocaust in Bezug stellt, der diesem unangemessen ist. Auf der anderen Seite wird damit deutlich, dass es tatsächlich um massenhafte Körperverletzungen geht.

    Eine zu sachliche Wortwahl hätte hier nicht ausgereicht, um das auszudrücken, was ich sagen wollte.

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    1. Sehr geehrter Herr Kollege Möbius, ich verstehe Ihren Ansatz. Ganz ehrlich sind wir übrigens zwar bei der Bewertung der Lage wirklich sehr unterschiedlicher Auffassung. Bei der Abwägung zweier Grundrechte sind nun einmal in dieser Sache auch nur zwei Ergebnisse möglich und beide im Grundsatz vertretbar; mich hat die Krankengeschichte - wie übrigens viele Muslime, die sich öffentlich geäußert haben - des Kölner Jungen sehr nachdenklich gemacht. Ich werbe nur für ein Grundverständnis: Anders als im Islam ist die Beschneidung im Judentum ein absolutes Gebot, ein Kernsatz des Glaubens. Das wird in der Debatte meist nicht verstanden. Deshalb bedeutet ein Beschneidungsverbot ein Verbot jüdischen Kultus in Deutschland. Das kann man nicht leichtfertig machen. Soviel müsste klar sein. Die Rabbinerkonferenz hat darauf aufmerksam gemacht, dass seit dem Holocaust keine derart einschneidende Beschränkung geschehen ist. Das stimmt. Dann hat man gesagt, dass im Dritten Reich solche gravierenden Einschränkungen am Anfang der Verfolgung standen - stimmt auch. Eine Rabbinerkonferenz darf - denke ich - darauf hinweisen. Die öffentliche Diskussion darf - denke ich - nicht einfach so tun, als sei die Beschneidung irgendeine atavistische Praktik, auf die Juden so einfach verzichten könnten. Man muss einfach sehen, wie tief dieser Konflikt ist. Das, aber nur das, fand ich jedenfalls, sei in Ihrer Formulierung verloren gegangen oder gar falsch akzentuiert.

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  6. Stephanie Kanzler14. Juli 2012 um 00:54

    Ich schlage folgende Lösung vor:

    1. Beschneidungen religiöser Art, um ein Bündnis mit Gott, Allah oder Hutziplu einzugehen, nur für einwilligungsfähige Personen nicht vor dem 21. Lebensjahr (erhöhte Altersgrenze, um familiäre Einflussnahme weitgehend auszuschließen). Ab da gilt: schneidet euch ab, was immer ihr mögt.

    2. Beschneidungen bei Kindern aufgrund medizinischer Indikation: ab sofort nur noch nach unabhängigem Gutachten durch die Krankenkasse (Vorlagepflicht bei späteren Untersuchungen, ansonsten erfolgt automatische Meldung an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden).

    Danke für die Aufmerksamkeit

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  7. Als (aus medizinischen, nicht aus religiösen Gründen) Betroffener erlaube ich mir, ausnahmsweise einmal anonym zu posten: Viele gute Gründe gegen die Legalisie-rung der Beschneidung sind hier schon genannt worden. Ein weiterer: Wer als Kind wegen seines anders aussehenden „Pimmels" verspottet wurde, braucht ggf. Jahre, um hiermit klarzukommen bzw. ein entsprechendes Selbstbewusstsein zu entwickeln.

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  8. § 6 Tierschutzgesetz:

    (1) Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres. ...

    - und für Menschen soll „aus religiösen Gründen" anders gelten? ???

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