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Dienstag, 13. Januar 2015

"Ich gehe grundsätzlich nicht auf Demonstrationen"

Na Gott sei Dank. Da wäre auch mein Weltbild ins Wanken geraten, wenn der Oppositionsführer des Niedersächsischen Landtags, CDU-Fraktionschef Björn Thümler, überhaupt an die Möglichkeit denken würde, sich unmittelbar an der Basis unserer Demokratie zu betätigen. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung hatte Björn Thümler danach gefragt, ob auch er gegen PEGIDA auf die Straße gehen würde und dann die in der Überschrift zitierte Anwort erhalten.

Auf der Suche nach einer Erklärung für Thümler's kategorische Ablehnung der Möglichkeit, jemals persönlich an der öffentlichen Einflussnahme auf den politischen Prozess mittels Ausübung des Grundrechts auf Demonstrationsfreihet teilzunehmen, könnte sein im Interview gegebenes Statement „Die PEGIDA-Initiatoren sind Rattenfänger“ dienen. Wer will schon vom Kammerjäger eingesammelt werden? Tatsächlich dürfte ein anderer Grund für Thümler's Desinteresse an Demonstrationsteilnahmen ausschlaggebend sein. Da die Versammlungsfreiheit historisch betrachtet stets gegen eine autoritäre Obrigkeit durchgesetzt werden musste, besteht bei den gesellschaftlichen Kreisen, die sich als Erben eben dieser Obrigkeit verstehen, naturgemäß kein Interesse, politische Versammlungen als Ausformung der Meinungsfreiheit in irgendeiner Weise zu unterstützen.

Allerdings wird die Meinungsfreiheit zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gezählt. Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der wichtigsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist. Denn erst sie ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform. Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden, kann für sie nichts anderes gelten. Die ungehinderte Ausübung dieses Freiheitsrechts wirkt nicht nur dem Bewusstsein politischer Ohnmacht und gefährlichen Tendenzen zur Staatsverdrossenheit entgegen. Sie liegt letztlich auch deshalb im Gemeinwohlinteresse, weil sich im Kräfteparallelogramm der politischen Willensbildung im allgemeinen erst dann eine relativ richtige Resultante herausbilden kann, wenn alle Vektoren einigermaßen kräftig entwickelt sind.

Nach alledem werden Versammlungen zutreffend als wesentliches Element demokratischer Offenheit bezeichnet. Sie bieten die Möglichkeit zur öffentlichen Einflussnahme auf den politischen Prozess, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest durch ein Stück ungebändigter Demokratie. Namentlich in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten hat die Demonstrationsfreiheit die Bedeutung eines grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes (vgl. BVerfGE 69, 315).

Wer also als Politiker die Teilhabe an der politischen Willensbildung durch die Teilnahme an einer Demonstration für sich selbst grundsätzlich ablehnt, schließt für sich eine Beteiligung an dieser Form des Meinungsstreits als unverzichtbares Element unserer Demokratie aus und gibt damit zu erkennen, dass ihn dieser zentrale Prozess demokratischer Kultur in unserem Land bestenfalls als Betrachter von oben herab interessiert. Ein demokratisches Armutszeugnis.