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Donnerstag, 30. März 2023

Sawsan Chebli und die Meinungsfreiheit

Immer wieder liest man in der Tagespresse etwas über die SPD-Politikerin Sawsan Chebli. Ihre Eltern lebten als palästinensische Flüchtlinge im Libanon und kamen 1970 als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland. Nach der Ablehnung ihrer Asylanträge lebten sie geduldet in West-Berlin, wo Frau Chebli als zwölftes von dreizehn Kindern geboren wurde. Ihr Vater wurde zwar dreimal in den Libanon abgeschoben, kehrte aber jeweils wieder nach Deutschland zurück. 1993 erhielt die Familie dann die deutsche Staatsangehörigkeit. Frau Chebli erlangte nach dem Abitur einen Abschluss in Politikwissenschaft und wurde 2014 die erste Sprecherin des Auswärtigen Amts ohne vorherige Diplomatentätigkeit. Ab 2016 war sie Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Berliner Senatskanzlei.

Bekannt wurde Frau Chebli durch ihre unglücklichen Auftritte in Pressekonferenzen und Rechtsstreitigkeiten um kritische Äußerungen in der Öffentlichkeit zu ihrer Person. Für die Veröffentlichung der Äußerung "Was spricht für Sawsan? (...) Befreundete Journalistinnen haben bislang nur den G-Punkt als Pluspunkt feststellen können in der Spezialdemokratischen Partei der alten Männer" erstritt sie im Dezember 2021 vor dem Landgericht Berlin vom Herausgeber des Magazins "Tichys Einblick" 10.000,- Euro Schmerzensgeld. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hatte dagegen den Publizisten Timm Kellner schon im Februar 2020 vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen, weil die Äußerungen "Quotenmigrantin der SPD" und "islamische Sprechpuppe" vom Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt seien. Die Äußerung "Quotenmigrantin der SPD" könne zwar als unverschämt oder kränkend empfunden werden, sei aber "unproblematisch zulässig". Die Bezeichnung "islamische Sprechpuppe" hätte die SPD-Politikerin zwar "hart getroffen", liege aber im Kontext des in Rede stehenden youtube-Videos noch im Rahmen des Zulässigen.

Aktuell hielt das Landgericht Heilbronn einen Kommentar auf Facebook über Frau Chebli mit den Worten "Selten so ein dämliches Stück Hirn-Vakuum in der Politik gesehen wie Sawsan Chebli" für eine von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckte Äußerung und wies eine Klage auf Schmerzensgeld ab. Nicht von der Meinungsfreiheit umfasst seien nur "Schmähkritik, Formalbeleidigung sowie Angriffe auf die Menschenwürde". Eine Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn sei nur dann gegeben, wenn eine Äußerung keinen nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung habe. Dieser Bezug sei aber im Falle des angegriffenen Postings auf Facebook gegeben. Die Klägerin Chebli äußerte sich entsetzt über die Entscheidung des Landgerichts. und befand, dass das Landgericht Heilbronn mit seiner Entscheidung ein falsches Signal setze. Wer allerdings den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Az.: - 1 BvR 2646/15 - liest und versteht, wird in der Regel erkennen, dass ein gerichtliches Äußerungsverbot die Ausnahme sein muss:

"Zu beachten ist hierbei indes, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist. Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten wird. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden.

Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassung wegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben."

Montag, 27. Februar 2023

Panzer vor der russischen Botschaft in Berlin

Seit Freitag vergangener Woche, dem Jahrestag des erneuten russischen Angriffs auf die Ukraine, steht ein zerstörter Panzer des Typs T-72 vor der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin. Ein Verein, der regelmäßig Veranstaltungen mit historischem Bezug in Berlin ausrichtet, hatte sich vor dem Verwaltungsgericht rechtzeitig gegen das Berliner Bezirksamt Mitte durchgesetzt, das eine Ausnahmegenehmigung für Kunst und Kultur im Stadtraum zwecks Aufstellung des Panzerwracks nicht erteilt hatte. Zur Begründung hatte die Stadtverwaltung ausgeführt, dass es wahrscheinlich sei, dass in dem Wrack Menschen gestorben seien. Daher sei die Ausstellung nicht angemessen. Zudem berühre die Ausstellung die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland und eine Genehmigung könne nur im Einvernehmen nach Gesprächen mit der Senatskanzlei bzw. der Bundesregierung erteilt werden.

Dieser Ansicht war das Verwaltungsgericht Berlin im Beschluss vom 11.10.2022 zum Az.: 1 L 304/22 unter Verweis auf die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit entgegengetreten. Es bestehe ein Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung, weil das Verbot nicht geeignet sei, Gefahren vom Straßenverkehr abzuwenden. Der Verein könne sich auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) stützen. Diesem Recht könne die Stadt Berlin keine entgegenstehenden öffentlichen Interessen gegenüberstellen, weil eine konkrete Gefährdung für den Straßenverkehr nicht gegeben sei. Mit dem Aufstellen des Panzerwracks würde der Protest gegen den Angriff der Ukraine durch Russland zum Ausdruck gebracht.

Die russische Botschaft betrachtet die Aufstellung des zerstörten Panzers als eine Provokation, die bei deutschen Bürgern kein Verständnis, keine Unterstützung und kein Mitgefühl finde. Bei der Massenkundgebung "Frieden in der Ukraine" in Berlin am 25.02.2023 hätten sich die Teilnehmer unmissverständlich für eine friedliche Konfliktlösung in der Ukraine und gegen eine Eskalation ausgesprochen, die durch deutsche Waffenlieferungen ans Kiewer Regime und eine weitere Ingangsetzung antirussischer Sanktionsspirale geschürt werde. Der Kommentar der Botschaft zur Installation vor dem Botschaftsgebäude interpretiert die Aufstellung des T-72 dann auch im eigenen Sinne und schließt die Stellungnahme wie folgt: "Wir danken allen, einschließlich unserer Landsleute in Deutschland, die am russischen Panzer Blumen niederlegten. Von nun an steht dieser für den Kampf gegen den Neonazismus in der Ukraine."

Montag, 24. August 2020

verbotene Justizkritik

In einem Befangenheitsantrag schrieb der Kläger wörtlich über die von ihm abgelehnte Amtsrichterin: 

"Die Art und Weise der Beeinflussung der Zeugen und der Verhandlungsführung durch die Richterin sowie der Versuch, den Kläger von der Verhandlung auszuschließen, erinnert stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten."

und

"Die gesamte Verhandlungsführung der Richterin erinnerte eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als an ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren."

Wegen dieser Äußerungen stellte der Präsident des Amtsgerichts Bremen Strafantrag gegen den Kläger und tatsächlich wurde der von der Justiz enttäuschte Kläger wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB verurteilt, da seine Äußerungen "ohne Zweifel" einen schwerwiegenden Angriff auf die Ehre der Richterin darstellten und nicht nach § 193 StGB in Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt seien. Selbst das Landgericht Bremen verwarf die Berufung des Klägers und das Oberlandesgericht Bremen schließlich die Revision, weil oben angeführte Äußerungen strafbare Schmähkritik seien.

Dass die in Deutschlands Medienlandschaft fest verwurzelte Kollektivhysterie in Sachen NS-Zeit auch einen juristisch geschulten Amtsgerichtspräsidenten erfasst, ist ärgerlich aber nicht verwunderlich, denn das notwendige Qualifikationsmerkmal überbordenden Anstands und der regelmäßige Repräsentationszwang an der Spitze eines Amtsgerichts führen mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, Rechte der Bürger, die über das einfache Zivilrecht hinaus in verfassungsrechtlich bedeutsamen Zusammenhängen zu betrachten sind, vollends aus den Augen zu verlieren. Dass aber am Ende ein Landgericht und schließlich gar ein Oberlandesgericht die Bedeutung der Meinungsfreiheit frech unter den Teppich kehren, um die gerechtfertigte Kritik einer Prozesspartei an ihresgleichen verfassungsfremd zu sühnen, ist ein echter Skandal.

Glücklicherweise nahm sich das Bundesverfassungsgericht dieses Falls zum Az.: 1 BvR 2433/17 an und schrieb den am Verfahren beteiligten Richtern einige Merksätze auf, von denen man selbst als Laie erwarten würde, dass deren Gehalt einem an materieller Gerechtigkeit interessierten Richter nicht nur in Fleisch und Blut übergegangen ist, sondern von ihm auch abseits jeglicher durch Antipathie ausgelöster Schnappatmung konsequent berücksichtigt wird: "Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist. Die Meinungsfreiheit erlaubt es insbesondere nicht, den Beschwerdeführer auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen." 

Auf den Fall bezogen kam das Bundesverfassungsgericht zu folgendem Schluss: "Die inkriminierten Äußerungen stellen keine Schmähkritik dar. Mit seinen Vergleichen richtete sich der Beschwerdeführer gegen die Verhandlungsführung der Richterin in dem von ihm betriebenen Zivilverfahren. Dieses bildete den Anlass der Äußerungen, die im Kontext der umfangreichen Begründung eines Befangenheitsgesuchs getätigt wurden. Die Äußerungen entbehren daher insofern nicht eines sachlichen Bezugs. Sie lassen sich wegen der auf die Verhandlungsführung und nicht auf die Richterin als Person gerichteten Formulierungen nicht sinnerhaltend aus diesem Kontext lösen und erscheinen auch nicht als bloße Herabsetzung der Betroffenen." Über die Dunkelziffer von verfassungswidrig verurteilten Kritikern, die es - aus welchen Gründen auch immer - nicht bis zum Bundesverfassungsgericht schaffen, mag ich an dieser Stelle nicht einmal spekulieren.

Mittwoch, 11. März 2020

Xavier Naidoo - Meinungsfreiheitstest

https://www.bitchute.com/video/TBai4Lv8DJnJ/
Jeden Tag gibt es in der Öffentlichkeit kleine Übungsfälle zum Erlernen der Abgrenzung von Äußerungen, die der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit unterfallen, von solchen, die verbotener Schmäkritik oder gar strafrechtlich relevantem Verhalten zuzuordnen sind. Mittlerweile fühlt sich ganz Deutschland kompetent genug und deshalb dazu berufen, diese schwierige Abgrenzung mit wenigen Worten für in die Kritik geratene Äußerungen vorzunehmen. Was berufserfahrenen Richtern oftmals nicht gelingt und dann bisweilen vom Bundesverfasungsgericht zu Gunsten des Äußernden korrigiert wird, glauben Journalisten mit Hilfe von moralischen Mustern wie "Unverschämtheit", "Hetze" oder "Rassismus" leisten zu können und ersetzen notwendige juristische Abwägungen durch verkürzte Wertungen, die angesichts des weitreichenden Schutzes der Meinungsfreiheit oftmals zu falschen Ergebnissen führen.

Der aktuelle Übungsfall betrifft das oben eingebundene Video des Künstlers Xavier Naidoo, das äußerst geringe Anforderungen an den juristischen Sachverstand eines jeden Zuhörers stellt, um herauszufinden, ob die dort gesungenen Worte von der Meinungsfreiheit gedeckt sind oder nicht. Angesichts der am kommenden Samstag anstehenden DSDS-Liveshow mit Xavier Naidoo bei RTL, darf man gespannt sein, welche Konsequenzen dessen gesungene Worte nach sich ziehen werden. Denn auch von der Meinungsfreiheit geschützte Texte führen oftmals zu Konsequenzen, die aus rechtlicher Perspektive nur für eindeutig rechtswidrige Äußerungen angemessen wären.

Dienstag, 3. März 2020

Dietmar Hopp im Fadenkreuz

Für Ultras sei SAP-Gründer und Milliardär Dietmar Hopp "die Fratze des kommerzialisierten Fußballs, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss", berichtet die BILD-Zeitung. Weil Hopp seinen Jugend- und Herzensklub TSG 1899 Hoffenheim von der zweitniedrigsten Klasse mit privaten Mitteln hinauf in die Bundesliga geführt habe, stehe er derzeit mit fernsehgerecht platzierten Bannern im Zentrum der Kritik zahlreicher Fußballfans. Das Gesicht von Dietmar Hopp auf einem großen Plakat hinter einem Fadenkreuz interpretiert die BILD dennoch als "eine eindeutige Morddrohung". Auch der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Fritz Keller, meint: "Das mit diesem Fadenkreuz ist meines Erachtens eine versteckte Morddrohung."

Das ist natürlich falsch, aber im Kampf um die Hoheit in deutschen Stadien kann eine Kriminalisierung des harten Kerns der Fußballfans durchaus nützlich sein. Öffentlich in Frage gestellt wird diese Interpretation der Fadenkreuz-Plakate nämlich nicht. Das mag auch an den zahlreichen auf Hopp bezogenen Hurensohn-Plakaten liegen, die als simple Schmähungen den differenzierten Blick auf die personalisierten Fadenkreuze für überflüssig erscheinen lassen. Dabei kennt doch jeder die Metapher "im Fadenkreuz stehen" oder "etwas im Fadenkreuz haben" genauso, wie den umgangssprachlichen Ausdruck "jemanden im Visier haben" als Redewendung für eine intensive aber regelmäßig gewaltlose Fokussierung. Ausgenommen von einer strafrechtlich relevanten Drohung sind aber alle Ankündigungen, die nicht als objektiv ernst zunehmende Bedrohung mit einem Verbrechen angesehen werden können, selbst wenn der Angesprochene sich von den Ankündigungen beeindrucken lässt.

Im Rahmen der Betrachtung einer Äußerung als denkbare Bedrohung oder Beleidigung ist ihre Interpretation mit der Meinungsfreiheit immer dann unvereinbar, wenn das Strafrecht so weit ausgedehnt wird, dass die Erfordernisse des Ehren- oder Institutionenschutzes überschritten werden und für die Berücksichtigung der Meinungsfreiheit kein Raum mehr gelassen wird. Desgleichen verbietet Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG als Schutznorm der Meinungsfreiheit Auslegungen von Äußerungen im Lichte des Strafrechts, von denen ein derart abschreckender Effekt auf den Gebrauch der Meinungsfreiheit ausgeht, dass aus Furcht vor Sanktionen in Zukunft auch zulässige Kritik unterbleibt.

Jedenfalls verstoßen Bestrafungen, die den Sinn einer umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt, wenn bei mehrdeutigen Äußerungen lediglich die zur Strafbarkeit führende Bedeutung einer Äußerung zugrundelegt wird, ohne vorher alle anderen möglichen Deutungen mit nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen zu haben. Lassen Formulierung oder Umstände die nicht strafbare Deutung einer Äußerung zu, so verstößt ein Strafurteil, das diese übergangen hat, gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Auch die BILD-Zeitung dürfte erkannt haben, dass die Fadenkreuzplakate keine Morddrohung sind, sondern nur eine auf den Punkt gebrachte Kritik an der fortschreitenden Kommerzialisierung des Fußballs, die sich überaus leicht an einem Milliardär festmachen lässt, der seinen Provinz-Club mit eigenem Geld einfach in die Bundesliga geschoben hat.

Mittwoch, 18. Dezember 2019

Tag der Deutschen - Teil 1

Seit der Ablehnung einer Markeneintragung für eine Abbildung, die einem aus dem 10. Jahrhundert stammenden Thorhammer nachempfunden war, weil diese Abbildung angeblich die Zahl "88" wiedergeben würde, was gleichbedeutend mit den Buchstaben "HH" sei und diese wiederum "Heil Hitler" bedeuten würden, bin ich sehr empfänglich für fragwürdige Botschaften der geplagten deutschen Volksseele.       

Ein Ausfluss der Hypersensibilität im Umgang mit nationalen Identitäten ist die Richtlinie 12.1 des deutschen Pressekodex für die Berichterstattung über Straftaten, die bestimmt, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten in der Regel nicht erwähnt werden soll, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse.

Daher zuckte ich gestern förmlich zusammen, als die BILD.de-Zeitung schon in der Überschrift die Nationalität des einer Straftat in einem Schweizer Parkhaus Verdächtigen nannte: "Deutscher demoliert 74 Autos mit Defibrillator". Nun wird der vorsichtige Journalist nicht mit Nr. 12.1 der Richtlinie des deutschen Pressekodex alleine gelassen, denn es gibt noch einen besonderen Leitfaden für diese Regel, um auch das entfernteste Fettnäpfchen noch aus sicherer Distanz erkennen zu können. Die Nennung einer Gruppenzugehörigkeit soll danach wenigstens dann ethisch vertretbar sein, wenn ein begründetes öffentliches Interesse für deren Nennung erkennbar sei.

Nun sind 74 beschädigte Autos eine wahrhaft bemerkenswerte Zahl und auch das Tatwerkzeug eines Defibrillators ist durchaus etwas besonderes. Dass die Zugehörigkeit des Verdächtigen zu der in der Schweiz lebenden Minderheit der Deutschen eine besondere Bedeutung für die Straftat hat, konnte ich jedoch nicht erkennen. Vielleicht verstehe ich die Vorschrift des Presserats auch falsch und es geht bei der Berichterstattung deutscher Medien nur um den Schutz von Minderheiten in Deutschland. Zu einer Minderheit im eigenen Land gehört der Deutsche ja nicht.

Doch ist der Deutsche in der Schweiz in Unterzahl und ein Blick über die Grenze zeigt, dass die gleiche Zeitungsmeldung auch in unserem Nachbarland eine sehr ähnliche Überschrift hat: "Deutscher (37) demoliert 74 Autos mit Defibrillator". Die Schweiz war in beiden Weltkriegen neutral, leidet daher nicht an einem nationalen Trauma und muss sich mit einer Minderheit von etwa 300.000 eingewanderten Deutschen arrangieren. Die Vermutung liegt also nah, dass der Schweizer Journalist grundsätzlich ein wenig freier in seiner Berichterstattung ist.

Tatsächlich legt die Richtlinie 8.2 des Schweizer Journalistenkodex die Nennung der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit, der Herkunft, der Religion, der sexuellen Orientierung oder der Hautfarbe zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit schlicht in die Hände der Journalisten, ohne ausdrücklich zu bestimmen, dass die Erwähnung der Gruppenzugehörigkeit eines Täters grundsätzlich zu unterbleiben hat.

Im vorliegenden Fall hat die Redaktion der Blick.ch-Zeitung wohl nach einer Abwägung entschieden, die Nationalität des Autohassers zu veröffentlichen, obwohl man unterstellen kann, dass sich der durchschnittliche Deutsche in der Schweiz weder durch überproportionalen Autohass noch den rechtswidrigen Gebrauch von Defibrillatoren hervortut. Man könnte insoweit also durchaus von der Gefahr einer Diskrimination einer Minderheit durch die Nennung der Nationalität des Verdächtigen sprechen.

Doch was richtet diese Form der Berichterstattung mit Angabe der deutschen Staatsbürgerschaft des verdächtigen Sachbeschädigers beim Leser der Online-Ausgabe der Schweizer Boulevardzeitung tatsächlich an? Ein Blick auf die Kommentarspalte des Artikels erhellt die Reaktion der erschütterten Öffentlichkeit, wobei ich mir die Freiheit nehme, nur solche Kommentare wiederzugeben, die auf die genannte Nationalität eingehen:

"Wie den meisten deutschen Kriminellen hierzulande, wird diesem Idioten auch nicht viel passieren!"

"Ob der auch Unschuldsfähig gesprochen wird, wie der Messerstecher und der andere Täter in Frankfurt? Ach ist ja nur ein Deutscher."

"Wegen den horrenden Parkgebühren ist wohl der Deutsche ausgerastet. Ein Schweizer macht da nur die Faust im Sack."

"Er ist Deutscher und er hat kein Auto in die Wand gesetzt. Sobald er die Schweiz verlässt und in Deutschland ankommt muss er nichts mehr bezahlen, so einfach ist das. Andere Länder, andere Sitten."

"Wichtiger Fachmann in Sachen Medizin aus EU, die wir so dringend brauchen. Komisch nur: Höre ganzen Tag SWR Radio und die haben Personalmangel in allen Kliniken. Klar, die sind alle hier. Aktuell Eglisau und Rafz, neue Ärzte aus D. Ist ja ok, aber die sollten nicht jammern sondern im Gesundheitssystem anständige Löhne zahlen!"

"Verstehe leider diesen Kommentar nicht. Wer jammert denn? Deutsche Ärzte die in der Schweiz sind? Oder Deutsche Krankenhäuser die denen die Ärzte fehlen? Und was hat das mit dem Artikel zu tun?"

"An Hans G.: Sie brauchen sich nicht zu wundern. Herr F. schreibt immer solche Kommentare. Egal was passiert, für ihn sind die EU, Ausländer, Linke und Grüne in jedem Fall und ohne die lästige Angabe von Beweisen schuld."

Tatsächlich scheint die Erwähnung der Staatsbürgerschaft des Verdächtigen bei einigen Lesern dazu zu führen, dessen individuelles Fehlverhalten für eine diskriminierende Verallgemeinerung zu Lasten anderer in der Schweiz lebender Deutscher zu nutzen. Gleichzeitig gibt es aber auch Stimmen, welche den vermeintlichen Unterschied der Mentalität beider Nationalitäten thematisieren oder verallgemeinernde Kommentare kritisch deuten.

Jedenfalls ist auch an diesem kleinen Beispiel die Notwendigkeit einer vorbeugenden Informationssperre im Hinblick auf die Nennung der Nationalität eines Täters nicht zu erkennen, denn zu einer möglichst umfassenden Meinungsbildung tragen auch solche Informationen bei, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Verfehlung stehen. Erst die möglichst umfassende Berichterstattung über eine Straftat, in der alle kennzeichnenden Attribute eines Täters genannt werden, ermöglicht die Entkräftung des Vorwurfs manipulativer Berichterstattung.

Es ist auch nicht die Aufgabe der Presse, Informationen nach eigenem Dafürhalten zu unterdrücken, um die freie Meinungsbildung schon im Vorfeld zu steuern und die zu einer Nachricht grundsätzlich mögliche Meinungsbildung schon von vornherein zu beschränken. Denn wenn jeder frei sagen darf, was er denkt, muss er auch in Lage versetzt werden, sich möglichst vollständig zu informieren.

Weil der Schutz des Grundrechts auf Meinungsfreiheit umfassend ist und es unerheblich ist, ob sich die auf Grund der Presseberichterstattung gebildete Meinung "wertvoll" oder "wertlos", "richtig" oder "falsch", emotional oder rational begründet ist, darf die Presse durch die Selektion von Informationen nicht von vornherein versuchen, die Meinungsbildung in eine Richtung zu steuern, die sich nur im Sinne der Verantwortlichen als wertvoll darstellt und sich erst Recht nicht eine Selbstverpflichtung auferlegen, die ein solches Handeln gar zur Prämisse macht.

Samstag, 6. Juli 2019

Walter Lübcke und die Meinungsfreiheit

Der Mord an Walter Lübcke am 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses im hessischen Wolfhagen-Istha findet in der deutschen Politik besondere Beachtung, weil Walter Lübcke zum Zeitpunkt seines Todes Regierungspräsident im Regierungsbezirk Kassel und damit ein vom Mininsterpräsidenten des Landes Hessen ernannter politischer Beamter war. Lübckes Ermordung wird im Zusammenhang mit seiner Rede am 14. Oktober 2015 auf einer von über 800 Menschen besuchten Bürgerversammlung in Lohfelden gesehen, bei der über eine dort geplante Erstaufnahmeunterkunft für Flüchtlinge des Landes Hessen im ehemaligen Hornbach-Gartenmarkt informiert wurde. Geplant war die Umsiedelung von etwa 380 männlichen Flüchtlingen, die bis dahin im aufgelösten Zeltlager Schwarzenborn untergebracht waren.

Die von vielen Zuhörern und Kommentatoren kritisierte Passage der Rede von Walter Lübcke wird vielfach verkürzt oder verfälscht wiedergegeben. Sie lautete wie folgt: "Ich bin stolz drauf, dass wir als Regierungspräsidium mit der Mannschaft, mit den Ehrenamtlichen hier dazu beitragen, da danke ich aber auch den Schülern, was ich in der Zeitung gesehen habe und den Lehrern. Ich hab mich hier mal für die Schule mal eingesetzt, dass hier auch in der Schule das weitergeben, das trägt auch Früchte davon, dass wir eine tolle Schule haben, dass wir mit Kirchen hier eine Wertevermittlung haben, wo wir sagen, es lohnt sich in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen."

Am 16. Oktober 2015 reagierte Lübcke auf die bis dahin an seiner Rede auf der Bürgerversammlung geäußerte Kritik und erläuterte seinen Standpunkt gegenüber der Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA) wie folgt:

"Unser Zusammenleben beruht auf christlichen Werten. Damit eng verbunden sind die Sorge, die Verantwortung und die Hilfe für Menschen in Not. An diese christlichen Kernbegriffe hatte ich erinnert, als ich immer wieder durch Zwischenrufe wie "Scheiß Staat!" und durch hämische Bemerkungen unterbrochen wurde. Ich wollte diese Zwischenrufer darauf hinweisen, dass in diesem Land für jeden und für jede, die diese Werte und die Konsequenzen aus unseren Werten so sehr ablehnen und verachten, die Freiheit besteht, es zu verlassen; im Gegensatz zu solchen Ländern, aus denen Mensch nach Deutschland fliehen, weil sie diese Freiheit dort nicht haben."

Im Zentrum des Mordfalls Lübcke steht neben der Tat an sich das gesprochene oder geschriebene Wort. Dies gilt für die Worte Lübckes selbst, die allem Anschein nach ursächlich für dessen Ermordung waren, für die Zwischenrufe während seiner Rede und erst recht für die der Rede folgenden Worte, die sich auch nach Lübckes Tod aus allen Richtungen und in alle Richtungen insbesondere über das Internet weiter verbreiten. Die Kommunikationsmöglichkeiten über das Internet eröffnen der breiten Masse nicht nur die Rezeption umfassender Informationen über den Fall Lübcke, sondern auch die Chance, sich über den Mord und die Person Lübckes in den Weiten des Internets rund um die Uhr weltweit wahrnehmbar auszutauschen. Die Zeit der Gnade des Abdrucks von Leserbriefen ist vorbei und der Umgang mit dem ungefilterten Strom von Meinungen erscheint schwierig.     

Die Deutungshoheit über politische Ereignisse beanspruchen nach wie vor Medienkonzerne und Volksvertreter, deren Betrachtung dieses Falls sich oft nur auf die Worte des politischen Gegners fokussiert: "Wir haben es mit einer fatalen Verrohung der politischen Sprache und der Umgangsformen zu tun. Und dort, wo Sprache verroht, verrohen Umgangsformen. Und dort, wo Umgangsformen verrohen, geschehen politische Anschläge" resümiert Friedrich März von der CDU. "Nicht nur die politische Gewalt und Gewaltbereitschaft von rechts nimmt zu. Auch das politische Klima dieser Republik hat sich verändert. Die AfD im Deutschen Bundestag und in den Länderparlamenten leistet dazu einen Beitrag. Sie hat mit der Entgrenzung der Sprache den Weg bereitet für die Entgrenzung der Gewalt. Erika Steinbach, einst eine Dame mit Bildung und Stil, demonstriert diese Selbstradikalisierung jeden Tag auf Twitter. Sie ist ebenso wie die Höckes, Ottes und Weidels durch eine Sprache, die enthemmt und zur Gewalt führt, mitschuldig am Tod Walter Lübckes." behauptet Peter Tauber (CDU).

Einer näheren Betrachtung der Rede Lübckes selbst widmet sich derzeit kaum jemand, obwohl doch gerade dessen Worte eine große Bedeutung in diesem bewegenden Kriminalfall haben und abseits zahlreicher Spekulationen allgemein nachvollziehbar und bewertbar sind. Wenn in der Politik spekulative Schuldzuweisungen in der Öffentlichkeit als angemessene Reaktion auf einen politischen Mord gelten, muss auch die Frage erlaubt sein, welche Bedeutung der Hinweis eines politischen Spitzenbeamten während einer Bürgerversammlung anlässlich einer Umsiedelung von Flüchtlingen hat, dass jeder Deutsche, der mit der Anwendung christlicher Werte in der Einwanderungspolitik nicht einverstanden sei, Deutschland jederzeit verlassen könne.

Richtig an diesen Worten ist zweifelsohne die Garantie, dass jeder Deutsche das Privileg der Freizügigkeit genießt, wie es Artikel 6 der hessischen Verfassung bestimmt (Jedermann ist frei, sich aufzuhalten und niederzulassen, wo er will) und Artikel 11 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet) festlegt. Ein derartiges Freiheitsrecht in einem Moment zu zitieren, wo es nicht zur Debatte steht, kommt allerdings der volkstümlichen Aufforderung gleich, dorthin zu gehen, "wo der Pfeffer wächst", wenn einem die gewählten Maßstäbe des Äußernden nicht gefallen. Angesichts des staatsbürgerlichen Rechts als Teil der zitierten Freizügigkeit natürlich auch dort bleiben zu dürfen, wo es einem gefällt obwohl man mit den Werten der Politik nicht einverstanden ist, sind die an die Bürgerversammlung gerichteten Worte Lübckes eine Anmaßung gewesen, die von den betroffenen Bürgern auch als solche verstanden wurde.

Über diesen Umstand hinaus verdient die Behauptung Lübckes, dass man in Deutschland für christliche Werte eintreten müsse und christliche Kernbegriffe den Umfang des Schutzes von Menschen in Not bestimmen, einen Abgleich mit der Rechtslage. Artikel 140 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland legt fest, dass die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 Bestandteil des Grundgesetzes sind und Artikel 137 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sagt unmissverständlich: "Es besteht keine Staatskirche." Noch deutlicher widerlegt Artikel 50 der hessischen Verfassung die Ansicht Lübckes, wenn es dort heißt: "1. Es ist Aufgabe von Gesetz oder Vereinbarung, die staatlichen und kirchlichen Bereiche klar gegeneinander abzugrenzen. 2. Die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften haben sich, wie der Staat, jeder Einmischung in die Angelegenheiten des anderen Teiles zu enthalten."

Tatsächlich bestimmt das deutsche Recht und nicht christliche Tradition über den Umfang der Verantwortung und die Hilfe für Menschen in Not. Allenfalls mittelbar ist das geltende Recht von christlichen Werten geprägt. Artikel 16 a des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt in Absatz 1 "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" und in Absatz 2 "Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt."

Mit dieser Norm soll in einem europäischen Staatenbund ohne Binnengrenzen, der auf einheitlichen Prinzipien über den Schutz von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention beruht, eine unkontrollierte Weiterwanderung von Flüchtlingen vermieden werden. Wer über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland einreist, hat - ohne Beachtung christlicher Prinzipien - von Gesetzes wegen keinen Anspruch auf Asyl. Für welche Werte ein Beamter eintreten muss, regelt zuerst das Bundesbeamtengesetz und nicht die Bibel, denn der Diensteid des § 64 Abs. 1 BBG kann auf Wunsch auch ohne Religionsformel geleistet werden: "Ich schwöre, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und alle in der Bundesrepublik geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe."

Weil Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes bestimmt, dass die Gesetzgebung nur an die verfassungsmäßige Ordnung und die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung lediglich an Recht und Gesetz gebunden ist, lag Walter Lübcke als politischer Beamter nicht nur mit seiner Wortwahl, sondern auch mit der These des Bestehens einer Pflicht zum Eintreten für christliche Werte falsch. Vielleicht orientierte sich Lübcke bei seiner Rede auch an den Prinzipien seiner Parteikollegin und Bundeskanzlerin Andrea Merkel, die durch ihr Wort im September 2015 in Abkehr von den Bestimmungen des Grundgesetzes die Öffnung der bundesdeutschen Grenzen unter Missachtung geltenden Asylrechts und der Dublin-Verordnung III ohne ausreichende Rechtsgrundlage veranlasst hatte.

Welchen Anteil welche Worte bei den Motiven des Täters gespielt haben, wird die zu erwartende Hauptverhandlung zeigen. Fest steht, dass die Schuld ausschließlich bei dem Täter für seine nicht zu rechtfertigende Tat zu suchen ist und die bereits stattfindende Instrumentalisierung des Mordes an Walter Lübcke nicht dazu führen darf, die Meinungsfreiheit derjenigen einzuschränken, die sich von den verfehlten Worten Lübckes bis heute angesprochen fühlen und ihren Ärger darüber im Rahmen der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit durch Kommentare in der Öffentlichkeit, insbesondere in den sozialen Medien, Luft machen. Denn wer die Berichterstattung über den Lübcke-Mord verfolgt, wird feststellen, dass zahlreiche Zitate, die im Zusammenhang mit dieser Straftat gefallen sind, in den Medien als "unerträglich", "widerlich" oder "obszön" eingeordnet werden und vielfach der Eindruck entsteht, dass eine "widerliche" Meinungsäußerung nicht dem Schutz des Grundgesetzes unterfällt.

Dies wird jedoch selten der Fall sein, weil jede Äußerung stets in ihrem Kontext betrachtet werden muss und das Bundesverfassungsgericht den Rahmen für eine unzulässige Schmähkritik als Sonderfall äußerst eng gezogen hat. "Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben."

Auch die Meinungsfreiheit findet ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen die Vorschriften der §§ 185, 189, 193 StGB gehören. Nur für solche Äußerungen, die ohne Zweifel als Formalbeleidigung oder Schmähung eingeordnet werden können, ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Kritisierten notwendig, weil die Meinungsfreiheit dann regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten muss. Zu beachten ist hierbei, dass die Meinungsfreiheit nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung oder abfällige Bewertung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist, sondern erst dort, wo es nur um die Schmähung einer Person ohne nachvollziehbaren Anlass geht.

Leider verkennen Fachgerichte vielfach die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit und sind gerade bei ausfälligen Kommentaren in öffentlichkeitswirksamen Zusammenhängen bereit, die Messlatte zu tief zu hängen, um nicht selbst ins Zentrum der Kritik zu geraten. Es ist daher zu befürchten, dass Forderungen von Politikern und Journalisten, die im Wettstreit um Beifall und Beachtung natürlich nicht an den Freiheitsrechten des Grundgesetzes gemessen werden, auf fruchtbaren Boden auch bei Staatsanwälten und Richtern fallen und öffentliche Kommentare zum Mord an Walter Lübcke zu strafrechtlichen Verurteilungen führen, die sich nicht an den immer wieder vom Bundesverfassungsgericht gesteckten verfassungsrechtlichen Grenzen orientieren, sondern an willkürlich dehnbaren Begriffen wie Anstand und Moral, die gerne ins Feld geführt werden, wenn es darum geht, die Äußerungsrechte Andersdenkender aus politischem Kalkül heraus zu beschneiden.

Freitag, 21. September 2018

Horst Seehofer, Chemnitz und die Meinungsfreiheit

Der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer, sagt: "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war".

Der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer, sagt auch: "Ich bin froh, dass der mutmaßliche Leibwächter von bin Laden außer Landes ist. Und ich bin auch froh über jeden, der bei uns in Deutschland straftätig wird, straffällig, und aus dem Ausland stammt. Auch die müssen das Land verlassen."

Ein 35-jähriger Mann wird in Chemnitz mutmaßlich von einem Ausländer erstochen. Menschen demonstrieren in Chemnitz gegen Gewalt durch Ausländer, Ausländer werden geschlagen.

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt: "Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun".

Der Staatssekretär und Regierungssprecher Steffen Seibert sagt: "Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin".

Der Ministerpräsident Sachsens, Michael Kretschmer, sagt: "Klar ist, es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd und es gab keine Pogrome in dieser Stadt".

Der Vize-Ministerpräsident Sachsens, Martin Dulig, sagt, es seien "Geflüchtete durch die Stadt getrieben worden".

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sagt: "Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist. Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken."

Die Musikgruppe Feine Sahne Fischfilet scheibt auf Facebook zu den Vorfällen in Chemnitz: "Tausende Leute ziehen durch Chemnitz, instrumentalisieren einen erbärmlichen Mord und jagen wieder Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe".

Die Musikgruppe K.I.Z. singt auf dem #WIRSINDMEHR-Konzert in Chemnitz: „Ich ramm´ die Messerklinge in die Journalistenfresse". "Eva Herman sieht mich, denkt sich: Was‘n Deutscher! Und ich gebe ihr von hinten wie ein Staffelläufer. Ich fick sie grün und blau, wie mein kunterbuntes Haus. Nich alles was man oben reinsteckt, kommt unten wieder raus."

www.hiphop.de sagt: "Es ist natürlich vollkommen in Ordnung, Rapper für ihre Texte auch mal zu kritisieren - aber bitte vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit."

Der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer, sagt: "Ich wäre, wenn ich nicht Minister wäre, als Staatsbürger auch auf die Straße gegangen – natürlich nicht gemeinsam mit Radikalen."

Der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer, sagt außerdem: "Wir haben erstmals eine Partei rechts der Union, die sich mittelfristig etablieren könnte, ein gespaltenes Land und einen mangelnden Rückhalt der Volksparteien in der Gesellschaft. Glauben Sie, das hat alles nichts mit der Migrationspolitik zu tun?" "Natürlich nicht alleine. Aber die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land. Das sage ich seit drei Jahren."

Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, Kulturschaffende, Kulturvermittlerinnen und -vermittler sagen auf www.seehofermussgehen.de: "Seehofer beschädigt die Werte unserer Verfassung. Sein Verhalten ist provozierend, rückwärtsgewandt und würdelos gegenüber den Menschen. So verstellt er den Weg in eine zukunftsfähige deutsche Gesellschaft. Er einigt das Land nicht, er spaltet es. Horst Seehofer sollte – noch vor der Landtagswahl in Bayern – vom Amt des Bundesinnenministers zurücktreten."

Das Grundgesetz sagt: "Art. 5
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung."

Das Bundesverfassungsgericht sagt: "Gegenstand des Schutzbereiches des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen. Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden. Dementsprechend fällt selbst die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG heraus. Neben Meinungen sind vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aber auch Tatsachenmitteilungen umfasst, da und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind beziehungsweise sein können. Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können. Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Im Einzelfall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte."

Ich sage: "Meinungsfreiheit ist einfach zu kompliziert für unser Land."

Sonntag, 16. September 2018

Facebook Sperrung und Löschung rechtswidrig

Mit zwei bemerkenswerten Entscheidungen haben das Landgericht Frankfurt und das Oberlandesgericht München der Ohnmacht der Facebook-Nutzer gegen die Löschung von Kommentaren und Sperrungen von Facebook-Profilen ein Ende gesetzt.

Beiden Entscheidungen ist gemein, dass sich Facebook-Nutzer erfolgreich gegen die Löschung von Kommentaren und die anschließende Sperrung ihrer Facebook-Profile durch Facebook gewehrt hatten. Die Gerichte hatten erkannt, dass jeder Nutzer mit Facebook einen Vertrag hat, in dessen Rahmen beide Seiten zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet sind, § 241 Abs. 2 BGB.

Im Rahmen dieses gegenseitigen Rücksichtnahmegebots habe Facebook dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Rechnung zu tragen und dürfe keine Kommentare löschen, die vom Recht der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Das Landgericht Frankfurt hatte mit Beschluss vom 14.05.2018 zum Az.: 2-03 O 182/18 ausgeführt, dass ein Nutzer verlangen kann, dass Facebook die Löschung und Sperrung einer Äußerung unterlässt, wenn die Meinungsfreiheit eine Löschung und Sperrung aufgrund dieser Äußerung nicht rechtfertigt.

Das Oberlandesgericht München hatte mit Beschluss vom 24.08.2018 zum Aktenzeichen 18 W 1294/18 entschieden, dass eine im Streit stehende Äußerung offensichtlich nicht als „direkter Angriff auf Personen wegen ihrer Rasse, Ethnizität, nationalen Herkunft, religiösen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung, geschlechtlichen Identität oder aufgrund von Behinderungen oder Krankheiten“ und damit als „Hassbotschaft“ im Sinne der Definition von Facebook in ihrem Regelwerk gewertet werden durfte, sondern Teil einer persönlichen Auseinandersetzung mit einer individuellen Kritikerin sei, die vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt ist. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränke sich nicht nur auf das Recht, sich zu aktuellen Ereignissen zu äußern, weshalb es rechtswidrig sei, die Löschung einer streitgegenständlichen Äußerung zu einer auf der Facebook-Seite von "Spiegel-Online" geführten Debatte zu Grenzkontrollen vorzunehmen und die Teilnehmerin auf diese Weise aus der konkreten politischen Debatte auszuschließen.

Beide Entscheidungen haben wegen der gewachsenen Bedeutung der Teilhabe jedes einzelnen Bürgers an an der politischen Diskussion im Internet einen hohen Stellenwert beim Schutz der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit, obwohl es sich bei beiden Entscheidungen jeweils nur um eine einstweilige Verfügung handelt. Mit der Verabschiedung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes hatte die Bundesregierung noch versucht, die im Internet mit harten Bandagen geführte Diskussion um aktuelle politische Inhalte zu knebeln, in dem sie Online-Netzwerke wie Facebook verpflichtete, "offenkundig strafbare Inhalte" unter Androhung von Ordnungsgeldern von bis zu 50 Millionen Euro binnen 24 Stunden nach einem Hinweis auf deren Rechtswidrigkeit zu löschen. Wie geplant wurden von Diensten wie Facebook natürlich nicht nur rechtsverletzende Beiträge gelöscht, sondern im Zweifel auch kritische aber nicht rechtsverletzende Beiträge der Zensur unterworfen, um drohende Geldbußen jedenfalls zu vermeiden.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz war bislang ein recht erfolgreiches Werkzeug dafür, durch die Androhung hoher Bußgelder eine Überregulierung der Meinungsvielfalt durchzusetzen, die im Zweifelsfall auch Beiträge löscht, welche tatsächlich von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Die Beschlüsse der Gerichte aus Frankfurt und München geben den Facebook-Nutzern damit nicht nur ein taugliches Werkzeug in die Hand, gegen ungerechtfertigte Löschungen und Sperrungen vorzugehen, sondern entziehen sozialen Netzwerken wie Facebook damit auch die Hoheit über die Ermittelung der Grenzen der Meinungsfreiheit und legen diese zurück in die Hände dafür ausgebildeter Volljuristen bei den Gerichten. Wer seine persönliche Meinung gegenüber Facebook und meinungsfressenden Denunzianten wirksam verteidigen möchte, hat dafür seit kurzem sogar obergerichtliche Rückendeckung.

Dienstag, 29. August 2017

Claudia Roth nicht ekelhaft II

Wer sich in der Berufungsverhandlung vor einer Strafkammer dem Vorwurf der Beleidigung der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und ausländischen Mitbewohnern ausgesetzt sieht und dann Begriffe wie "Kampfraum Stalingrad", "Walhall", die „Tafelrunde der Edlen“ und den „Adler der Ostfront" fallen lässt, ist einerseits wohl unbelehrbar ehrlich und andererseits von einem Vertrauen in die Kompetenz und Neutralität der deutschen Justiz geprägt, das man auch als Naivität bezeichnen könnte und schließlich als naiv bezeichnen muss, wenn man das Urteil des Landgerichts Köln vom 03.02.2017 zum Az.: 157 Ns 102/16 auch nur oberflächlich analysiert.

Der Angeklagte war in der ersten Instanz für den Versand einer E-Mail verurteilt worden, in der u.a. zu lesen war "Oder beginnt hier die humane Ausrottung des deutschen Volkes durch vollständige Durchrassung? So wurde es jedenfalls von dieser ekelhaften Claudia Roth in einer Talkshow herbeigesehnt!" und hatte sich im übrigen im Treppenhaus ein mindestens scharfes Wortgefecht mit ausländischen Hausgenossen, die später als Zeugen auftraten, geliefert, für das er ebenfalls zur Rechenschaft gezogen worden war.

Erwähenswert ist im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung unter Hausbewohnern, dass es das Gericht nur für strafmildernd hielt, dass der Angeklagte vom Zeugen ebenfalls beleidigt wurde. Die Voraussetzungen des § 199 StGB wurden verneint, obwohl der Zeuge angab, den Angeklagten ebenfalls beschimpft zu haben, weil der zeitliche Zusammenhang und die Reihenfolge der Äußerungen unklar geblieben seien. Da haben wohl die Gedanken an Stalingrad und die Ostfront die mentale Beweglichkeit des Landgerichts etwas einfrieren lassen, sonst hätte der Umstand, dass es für die Straffreiheit wechselseitiger Beleidigungen nach § 199 StGB nicht auf deren zeitliche Abfolge ankommt, sicherlich eine größere Rolle spielen müssen, denn "entscheidend ist allein, dass es sich um wechselseitige, d.h. unmittelbar aufeinanderfolgende, in einem spezifischen Zusammenhang stehende Beleidigungen handelt", vgl. Beschluss des OLG Koblenz v. 24.02.2011, Az.: 2 Ss 30/11.

So verwundert es dann auch nicht, dass das Gericht bei der Betrachtung der Äußerung über Frau Roth ganz unverhohlen die Hühneraugen zudrückte, allerdings noch einmal zu Lasten des Angeklagten. Dass Gericht verstieg sich angesichts des oben zitiertren E-Mail-Inhalts tatsächlich zu folgendem Nonsens: "Bezeichnet man einen Menschen als "ekelhaft", so impliziert dies, dass diesem Menschen eine unabhängig von der Situation, von seinem Verhalten, dem was er sagt oder tut, zukommende Eigenschaft anhaftet. Eine derartige Äußerung hat mit scharfem Meinungskampf in der Politik nichts zu tun, sondern dient einzig der persönlichen Herabwürdigung. Auch aus dem Kontext der Äußerung, den sonstigen Passagen des Schreibens und seinem Anlass, ergibt sich nichts Abweichendes." Schräg, oder? Aber es kommt noch besser: "Die Bezeichnung steht auch nicht in irgendeinem inhaltlichen Zusammenhang zu den sonstigen zulässigen Äußerungen des Angeklagten."

Das ist angesichts der E-Mail so falsch, dass es eigentlich keiner näheren Erörterung bedarf. Denn der Wortlaut der in Rede stehenden Äußerung zielt eindeutig auf den vom Angeklagten angeführten Umstand ab, dass Frau Roth angeblich die humane Ausrottung des deutschen Volkes durch vollständige Durchrassung herbeigesehnt hätte. Wie man auf die Idee kommen kann, der Ekel des Angeklagten gegenüber Frau Roth bezöge sich nicht wenigstens auch auf deren angebliche Einstellung zum deutschen Volk, bleibt unergründlich.

Zurück bleibt der fade Nachgeschmack, dass sich die deutsche Justiz mit den Prinzipien der Meinungsfreiheit immer dann besonders schwer tut, wenn dem Delinquenten eine "rassistische bzw. fremdenfeindliche Gesinnung" nachgesagt werden kann, die per se nicht strafbar ist. Es ist allerdings kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, warum gerade in solchen Fällen mit leicht durchschaubaren Falschbegründungen Grundrechte über Bord geworfen werden sollten. Das Landgericht muss sich deshalb schlicht eine Gesinnungsjustiz vorwerfen lassen, denn dass die Bezeichnung einer "ekelhaften Claudia Roth" im inhaltlichen Zusammenhang mit deren angeblich gewünschter Durchrassung steht, ist selbst für einen durchschnittlich begabten Gymnasiasten erkennbar.

Montag, 28. August 2017

Durch Staatsanwalt geprüfte Blogartikel

Für viele Richter auf der unteren Stufe der Gerichtsbarkeit scheint es gewöhnungsbedürftig zu sein, ihr zum Teil unanständiges Gewurstel in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt zu sehen. Jahrzehntelang vom Miteinander der Zeitungsverlage und Gerichtsverwaltungen gedeckt, verschwanden unspektakuläre Willkür und erschreckende Unfähigkeit von Richtern ohne großes Aufsehen in den Akten und den sie beherbergenden Kellern.

Spätestens mit den publizistischen Möglichkeiten des Internets war es jedoch mit der Gewissheit vorbei, im Halbdunkel selbstherrlicher Juristerei ungestört dem Ruhestand entgegendümpeln zu können. Nach Dekaden des Dornröschenschlafs ist es nachvollziehbar, wenn Amtsrichter ungeziemlichen Ruhestörungen durch anwaltliche Berichterstattungen nicht durch die Verbesserung eigener Arbeitsqualität entgegentreten mögen, sondern in ihrer Not lieber die Hilfe des Justizapparats höchstselbst erflehen.

Das klappt natürlich nur bedingt und trotz erheblichem Wohlwollen gegenüber den geplagten Richterseelen müssen bisweilen staatsanwaltliche Gütesiegel für Blogartikel verteilt werden, die sich auch beim besten Willen nicht mit Hilfe strafrechtlicher Sanktionen aus dem kollektiven Gedächtnis entfernen lassen. So wurden nach Strafanzeigen gegen den stets um ausgewogene Berichterstattung bemühten Verfasser folgende Blogartikel als von der Meinungsfreiheit gedeckt angesehen und das Verfahren bezüglich der dort erfolgten Äußerungen gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Begründet wurde die Verleihung dreier Gütesiegel wie folgt:

Amtsgericht Nienburg a.) "In seinem Artikel vom 20.04.2016 (Bl. 3 ff. Bd. I d.A.) kritisiert der Beschuldigte das „Amtsgericht Nienburg“ bzw. „die Justiz“ (Bl. 3, 4 Bd. I d.A.) und bemängelt „richterliches Duckmäusertum" (Bl. 4 Bd. I d.A.), „Arbeitsverweigerung“ (Bl. 6 Bd. I d.A.) und spricht von einem „Armutszeugnis“ (Bl. 5 Bd. I d.A.) bzw. dem Verfahren als „abstrusen Reigen“ (Bl. 7 Bd. I d.A.). Insoweit schwingt sich der Beschuldigte hier zwar zum Verfechter der Rechte seines Mandanten auf und will diese mittels seiner Artikel nun auch außergerichtlich wahren. Allerdings stellt sich die Veröffentlichung des fraglichen Artikels nicht mehr als Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.d. § 193 StGB dar. Denn anders als bei Äußerungen in einem anhängigen Rechtsstreit greift dieser Rechtfertigungsgrund i.R. einer außergerichtlich betriebenen, an die Öffentlichkeit gerichteten Kampagne nicht (BGH, Urteil vom 17.12.1991 - VI ZR 169/91; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.12.2005 - 20 W 298/04, vgl. Fischer, StGB, 63. Auflage - 2016, § 193 Rn. 7 ff.). Gleichwohl stellen zumindest diese Äußerungen des Beschuldigten inhaltlich noch keine Beleidigung i.S.d. §§ 185 ff. StGB dar. Denn unter Beachtung aller Begleitumstände bringen sie keine persönliche Missachtung bzw. Nichtachtung gegenüber einzelnen Personen zum Ausdruck. Es handelt sich vielmehr um eine allgemeine Unhöflichkeit, verbunden mit einer generellen Kritik an der aus Sicht des Beschuldigten unbefriedigenden Prozessführung (vgl. hierzu Fischer, a.a.O., § 185 Rn. 10). Persönliche Anfeindungen gegen einzelne, nicht namentlich genannte Richter enthält der genannte Artikel nicht, inhaltlich geht es vielmehr um eine Auseinandersetzung mit der Rechtssache selbst, die in tatsächlicher Hinsicht zumindest kursorisch dargestellt wird (Bl. 44 Bd. II d.A.)."

Amtsgericht Nienburg b.) "Ähnlich verhält es sich mit dem Artikel vom 18.05.2016 (Bl. 21 ff. Bd. I d.A.), in dem der Beschuldigte die „charakterlose Unentschlossenheit der Nienburger Robenträger“ (Bl. 23 Bd. I d.A.) anprangert. Hierzu hat er ausgeführt, er betrachte die Vertagung der Entscheidung über ein Ordnungsgeld als rechtswidrig und habe dies mit seinem Artikel zum Ausdruck bringen wollen (vgl. Bl. 43 Bd. II d.A.). Auch insoweit ist die Grenze zur Strafbarkeit nach § 185 Abs. 1 StGB noch nicht überschritten, es handelt sich um eine allgemeine Unhöflichkeit, nicht aber um eine auf persönliche Diffamierung zielende Schmähkritik."

Amtsgericht Nienburg c.) "Des Weiteren hat der Beschuldigte in seinem Artikel vom 12.07.2016 (Bl. 28 ff. Bd. I d.A.) der „niedersächsischen Justiz“ „Versagen“ (Bl. 29 Bd. I d.A.) vorgeworfen und behauptet, die „Nienburger Justiz“ vollziehe eine „Gratwanderung zur Strafvereitelung“ (Bl. 29 Bd. I d.A.). Bei der vorliegenden Äußerungen handelt es sich um eine auf Tatsachenbehauptungen basierende Meinungsäußerung, die grds. den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießt. In diesem Zusammenhang kommt dem Begriff der Rechtsbeugung dann aber nicht die Qualität einer Formalbeleidigung zu, sofern er im Zusammenhang mit einem bestimmten Verfahren oder Urteil verwendet wird, in sachliche Einwände eingebettet ist und damit als - scharfe - Zusammenfassung der Urteilskritik steht (AGH Saarland, Urteil vom 12.08.2002 - AGH 2/02 in MDR 2003, 180). Auch in dem genannten Artikel befasst sich der Besch. mit der von ihm als ungerecht empfundenen Verfahrensführung. Es handelt sich zumindest im Kern um eine sachliche Auseinandersetzung, nicht um eine bloße Schmähung der Entscheidungsträger."

Mittwoch, 23. März 2016

Meinungsfreiheit und Terrorismus

"Gelobt sei Angela Merkel, die Warmherzige, die Vorausschauende. Sie hat alles dafür getan, dass der Terror in Europa Fuß fassen kann und seine Söhne hier die eigene Zukunft von einen gestörten Welt verwirklichen können. Lasst uns Angela Merkel feiern, sie hat es geschafft!"

Dieses Zitat wurde von mehreren Tageszeitungen Vera Lengsfeld als Reaktion auf das gestrige Attentat in Brüssel zugeschrieben, jedenfalls wurden diese Sätze über Facebook verbreitet und "alle", auch die angebliche Autorin Lengsfeld, sind sich darüber einig, dass solch ein Posting besser nie geschrieben worden wäre, mindestens aber gelöscht gehört.

BILD drückt das so aus: "Auch CDU-Politikerin vergreift sich im Ton", die CDU-Bundesgeschäftsstelle meint "Diese Äußerung ist pietätlos und völlig daneben" und die Stuttgarter Zeitung fragt: "Ist der der Post auf Facebook tatsächlich von Vera Lengsfeld? Zweifel waren angebracht, zu monströs ist die Aussage."

Im großen Strom der billig und gerecht Denkenden erfährt das eingangs zitierte Facebook-Posting weniger inhaltlichen Widerspruch, als vielmehr das einhellige Dafürhalten, eine solche Meinung bedürfe keiner inhaltlichen Auseinandersetzung, sondern sei - im juristischen Sinne - von vornherein unzulässig. Sozusagen eine Unmeinung.

Die Auseinandersetzung über das umstrittene Zitat erfolgt daher auch nicht in den heiligen Hallen der obersten Meinungsmacher, sondern auf dem Bolzplatz des kommentierenden Publikums und am Fuße der Meinungspyramide gibt es tatsächlich Menschen, welche Verständnis für die als ungehörig zertifizierte Merkel-Schelte zeigen:

"Wer unkontrolliert Hundertausende von Menschen aus fremden Kulturkreisen binnen kürzester Zeit einreisen lässt, muss leider auch damit rechnen, dass sich unter diesen Personen mit fragwürdigen Absichten und Motiven befinden. Es ist bereits mehrfach bekannt geworden, dass sich unter den sicherlich berechtigt vor Krieg und Gewalt Flüchtenden auch unberechtigte Wirtschaftsflüchtlinge und eben auch Straftäter (auch der Flucht vor dem Gesetz in ihren Ländern) und eben radikale Fanatiker befinden, die den Schutz der Masse vor Entdeckung gezielt suchen. ... Wenn diese dann hier Straftaten begehen oder Attentate - ist dann der Verursacher (oder zumindest Begünstiger) dieses Umstands nicht zumindest moralisch auch irgendwie mitschuldig?"    

Die Antwort erfolgt prompt: "Und dazu gibt es irgendwelche Belege? Kennen Sie irgendwelche Fakten, die das belegen? Oder ist es mehr so ein bisschen gefühlt? Das Merkel den Terror geholt hat? Haben Sie das irgendwie schon ein bisschen im Urin? Wir zählen aktuell 34 ermordete Menschen. Aber ein bisschen Polemik und boshafteste Unterstellungen müssen doch schon noch erlaubt sein, oder?"

Auf diese Fragen liefert das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung eine unmissverständliche Antwort: "Dieses Grundrecht gewährleistet, ohne ausdrücklich zwischen "Werturteil" und "Tatsachenbehauptung" zu unterscheiden, jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern: Jeder soll frei sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann; zugleich ist es der Sinn von Meinungsäußerungen, geistige Wirkung auf die Umwelt ausgehen zu lassen, meinungsbildend und überzeugend zu wirken. Deshalb sind Werturteile, die immer eine geistige Wirkung erzielen, nämlich andere überzeugen wollen, vom Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Der Schutz des Grundrechts bezieht sich in erster Linie auf die eigene Stellungnahme des Redenden. Unerheblich ist, ob seine Äußerung "wertvoll" oder "wertlos", "richtig" oder "falsch", emotional oder rational begründet ist. Handelt es sich im Einzelfall um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede. Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen fallen, namentlich im öffentlichen Meinungskampf, grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1."

Die aktuell vorherrschende Tendenz, sich mit bestimmten Meinungen nicht inhaltlich auseinandersetzen zu müssen, sondern diese von vornherein als unmoralisch abqualifizieren zu können um dem Äußernden damit das Recht abzusprechen, diese Meinung aussprechen zu dürfen, richtet sich daher gegen die Meinungsvielfalt und damit gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit selbst. Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt müssen in einer Demokratie jedoch auch gegen Angriffe der überwältigenden Mehrheit verteidigt werden, selbst wenn es Ansichten betrifft, welche von dieser als anstößig empfunden werden und diese Angriffe selbst von der Meinungsfreiheit geschützt sind.

Mittwoch, 21. Oktober 2015

BILD gegen die Meinungsfreiheit

Während SPIEGEL-online seinen Lesern lediglich gezielt die Möglichkeit zur Meinungsäußerung in Sachen "Flüchtlinge" einschränkt, macht BILD-online gezielt Jagd auf solche Nutzer von Facebook, die es wagen, ihre abseits der Linie der Partei oder jenseits des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden liegende Meinung öffentlich zu äußern.

Ist das auf die Prinzipien einer freiheitlich demokratischen Grundordnung hereingefallene Opfer erst einmal in den Hinterhalt der BILD-Agenten geraten, wird es an den online-Pranger gestellt, mit der Unverfrorenheit der Veröffentlichung einer eigenen Überzeugung konfrontiert und über die Hintergründe des Meinungsverrats unerbittlich verhört.

Viele durch BILD-Verhöre Geläuterte schwören ihrer Meinung reuig ab und geloben feierlich, sich in Zukunft nur noch gemäß der Doktrin des Politbüros zu äußern oder sich nur noch zu Kochrezepten und Fußballspielen mitteilen zu wollen. Grundlage der Verfolgung durch den BILD-Sicherheitsdienst ist der jüngst vom Parlament verabschiedete § 126a StGB, welcher der Wiedererlangung der zentralen Publizitätsmacht dienen soll: „Wer sich an einer Gruppe beteiligt, die aus Mißachtung der öffentlichen Ordnung oder der Regeln des deutschen Gemeinschaftslebens Gewalttätigkeiten, Drohungen oder grobe Belästigungen gegenüber Personen oder böswillige Beschädigungen von Sachen oder Einrichtungen begeht, wird mit öffentlichem Pranger, Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Haftstrafe bestraft.“

Die vom Sekretariat des BILD-Komitees sanktionierten Volksmeinungen werden zukünftig in einem bundesweit einsehbaren Meinungsstrafregister veröffentlicht, dessen Strafrahmen einmal im Monat vom nationalen Meinungsrat überprüft und aktualisiert wird. Der Katalog der über das bisher geltende Strafrecht hinausgehenden verbotenen Äußerungen liest sich mit Stand vom 21.10.2015 wie folgt:
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Dienstag, 13. Oktober 2015

SPIEGEL ONLINE verzichtet auf Meinungsfreiheit

Wer bloggt weiß, was es heißt, eine Kommentarfunktion unter seinen Artikeln bereit zu halten. Es gibt Leser, die setzen sich konstruktiv mit dem Inhalt der Artikel auseinander, manche schreiben dünne Kommentare und einige irgendeinen Scheißdreck, der keinen interessiert. Aus diesem Konglomerat gilt es grundsätzlich zunächst die Kommentare herauszufiltern, die rechtswidrig sind. Der Rest wird durch die Meinungsfreiheit geschützt, wenngleich es ins Belieben des Seitenbetreibers gestellt ist, mehr Kommentare zu löschen, als nötig und auch missliebige Meinungen zu entfernen. Einige Publikationen verzichten ganz auf die Kommentarfunktion. Die Angst vor der Haftung des Betreibers ist zu groß oder die Meinung der Leser ist der Mühe nicht wert, kontrolliert zu werden.

SPIEGEL ONLINE berichtet nicht nur über Zeitgeschehen, sondern hat eigens eine Rubrik "Meinung", auf der alle erschienenen Kommentare, Debattenbeiträge und Artikel der Kolumnisten zu finden sind. Meinungsmachen ist ein ausgewiesenes Betätigungsfeld von SPIEGEL ONLINE. Wirklich wichtig scheint den Meinungsmachern allerdings nur die eigene Meinung zu sein, anders ist folgender Hinweis unter einigen Artikeln nicht zu interpretieren: "Liebe Leserinnen und Leser, im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf SPIEGEL ONLINE finden Sie unter diesem Text kein Forum. Leider erreichen uns zum Thema Flüchtlinge so viele unangemessene, beleidigende oder justiziable Forumsbeiträge, dass eine gewissenhafte Moderation nach den Regeln unserer Netiquette kaum mehr möglich ist. Deshalb gibt es nur unter ausgewählten Artikeln zu diesem Thema ein Forum. Wir bitten um Verständnis."

SPIEGEL-Artikel mit den Überschriften "Seehofers "Notwehr"-Sprüche: Rhetorisch braun", "Seehofer-Regierung: Bayern will Flüchtlinge nach Österreich zurückschicken" oder "Flüchtlinge: EU startet Umsiedlungsaktion - mit 21 Migranten" dürfen nicht kommentiert werden. Ob die Überwachung des Forums zwecks Eliminierung rechtswidriger Kommentare der Redaktion zu mühsam ist oder dem Trend der Macher zu diesem Thema entgegenstehende aber zulässige Meinungen gar nicht erst verbreitet werden sollen, kann man nur vermuten. Zum Thema "Flüchtlinge" ist die Meinungsfreiheit der Leser SPIEGEL ONLINE jedenfalls nichts wert.

Dienstag, 15. September 2015

Facebook - Regierung bettelt um Zensur

Wenn schon der Bundesjustizminister bei der Facebook Inc. an der Pforte scharrt und um Einlaß bettelt, dann drückt der Führungsriege um Mutti Merkel wohl ganz gehörig der Schuh. Selten wichen die verbreiteten Vorstellungen der politischen Führer in einer Grundfrage wie der des Umgangs mit der jüngsten Einwanderungswelle von Flüchtlingen aus Nordafrika und Vorderasien weiter von den wahrnehmbaren Idealen derjenigen ab, die es zu führen gilt. Während es den Mächtigen der Republik ein Leichtes ist, sich über die Tagespresse mitzuteilen, muss der gemeine Bundesbürger selbst in die Tasten greifen, um sich wenigstens über Facebook etwas Gehör zu verschaffen.

Und das gelingt dem widerborstigen Wutbürger offenbar so gut, dass es der Staatsapparat nicht mehr länger überhören mag. Ungesteuert entlädt sich die Masse von Meinungen über Millionen von Nutzerkonten, dass es dem Parlament Angst und Bange wird. Facebook-Gruppen gegen Überfremdung und Islamisierung sind in wenigen Sekunden erstellt und bereits vorhandene Netzinhalte zu ordnen und zu kanalisieren ist für geübte Facebook-Nutzer ein Sache von wenigen Minuten. Dann bricht der Schwall von Kommentaren los, die der Berliner Chef-Etage ein derart grosser Dorn im Auge ist, dass Deutschlands oberster Jurist auf Wanderschaft zum weltweit größten sozialen Netzwerk Facebook geschickt wird.        

Der Bundesjustizminister möchte, dass Facebook in Deutschland ein Team mit deutschsprachigen Mitarbeitern einstellt, dass gezielt gegen Hass-Botschaften über Ausländer und Flüchtlinge vorgeht. Facebook ginge nicht entschieden gegen rassistische, fremdenfeindliche oder volksverhetzende Kommentare vor. Außerdem solle Facebook enger mit Strafverfolgern und zivilen Vereinen kooperieren. Dieser Bitte kann man entnehmen, dass sich der Staatsapparat entweder eine Zensur auch von solchen Inhalten wünscht, die strafrechtlich ohne Bedeutung sind oder aber das Justizministerium bittet Facebook um die Durchsetzung geltenden Rechts. Die erste Interpretationsvariante der Bitte wäre eigentlich ein derartiges Armutszeugnis, dass ich darüber kaum weitere Worte verlieren möchte. Allerdings wäre die zweite Auslegung ein noch größerer Offenbarungseid für die Exekutive in einer Größenordnung, dass der Ruf nach Zensur doch die wahrscheinlichere Variante ist.

Tatsächlich hat es den Anschein, dass die Meinungsvielfalt auf Facebook aus der Sicht der Regierung derart bedrohliche Ausmasse angenommen hat, dass sie Facebook im Ergebnis um Zenurmaßnahmen bittet. Der Kommentar auf ein ‎refugeeswelcome-Video "wie bescheuert und blind muss man sein die willkommen zu heissen !!! hoffe werden mal verprügelt vergewaltigt oder ausgeraubt von dem pack !!!" erscheint zwar unerträglich stumpf, lässt sich aber nicht mit juristischen Mitteln eliminieren. Sicherlich gibt es auch viele Kommentare, die den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen und insoweit haftet entweder der Schreiber selbst, oder aber Facebook nach Kenntnisnahme des rechtsverletzenden Kommentars, so dass die Entfernung strafrechtlich relevanter Inhalte, wenn auch mit großem Aufwand, beherrschbar erscheint.

Ich gehe davon aus, dass es den Regierenden tatsächlich um die Eliminierung einer Vielzahl von mindestens unbequemen Kommentaren geht, die sich wegen der verfassungsmäßig garantierten Meinungsfreiheit mit juristischen Mitteln von außen nicht bändigen und nur durch enger gefasste Nutzungsbedingungen von Facebook selbst angreifen lassen. Eine enge Kooperation von Facebook mit Staatsanwaltschaften und privaten Vereinen durch ein deutschsprachiges Team dürfte danach als eine Art Speerspitze gegen jene Kommentare gedacht sein, bei denen sich dem politischen Gewissen Deutschlands in einem Moment der Magen umdreht, in dem die Tageskost ohnehin schwer verdaulich erscheint. Damit wird nun auch in Deutschland das Dilemma autoritärer Staaten dieser Welt deutlich. Über das Internet schwappt der Volkszorn über die bislang noch steuerbaren Ränder der politischen Kultur. Der Bürger kommt dem Staat mit seiner ungefilterten Meinung derart nah, dass es der Staat nicht länger erträgt.