Montag, 27. Februar 2023

Panzer vor der russischen Botschaft in Berlin

Seit Freitag vergangener Woche, dem Jahrestag des erneuten russischen Angriffs auf die Ukraine, steht ein zerstörter Panzer des Typs T-72 vor der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin. Ein Verein, der regelmäßig Veranstaltungen mit historischem Bezug in Berlin ausrichtet, hatte sich vor dem Verwaltungsgericht rechtzeitig gegen das Berliner Bezirksamt Mitte durchgesetzt, das eine Ausnahmegenehmigung für Kunst und Kultur im Stadtraum zwecks Aufstellung des Panzerwracks nicht erteilt hatte. Zur Begründung hatte die Stadtverwaltung ausgeführt, dass es wahrscheinlich sei, dass in dem Wrack Menschen gestorben seien. Daher sei die Ausstellung nicht angemessen. Zudem berühre die Ausstellung die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland und eine Genehmigung könne nur im Einvernehmen nach Gesprächen mit der Senatskanzlei bzw. der Bundesregierung erteilt werden.

Dieser Ansicht war das Verwaltungsgericht Berlin im Beschluss vom 11.10.2022 zum Az.: 1 L 304/22 unter Verweis auf die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit entgegengetreten. Es bestehe ein Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung, weil das Verbot nicht geeignet sei, Gefahren vom Straßenverkehr abzuwenden. Der Verein könne sich auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) stützen. Diesem Recht könne die Stadt Berlin keine entgegenstehenden öffentlichen Interessen gegenüberstellen, weil eine konkrete Gefährdung für den Straßenverkehr nicht gegeben sei. Mit dem Aufstellen des Panzerwracks würde der Protest gegen den Angriff der Ukraine durch Russland zum Ausdruck gebracht.

Die russische Botschaft betrachtet die Aufstellung des zerstörten Panzers als eine Provokation, die bei deutschen Bürgern kein Verständnis, keine Unterstützung und kein Mitgefühl finde. Bei der Massenkundgebung "Frieden in der Ukraine" in Berlin am 25.02.2023 hätten sich die Teilnehmer unmissverständlich für eine friedliche Konfliktlösung in der Ukraine und gegen eine Eskalation ausgesprochen, die durch deutsche Waffenlieferungen ans Kiewer Regime und eine weitere Ingangsetzung antirussischer Sanktionsspirale geschürt werde. Der Kommentar der Botschaft zur Installation vor dem Botschaftsgebäude interpretiert die Aufstellung des T-72 dann auch im eigenen Sinne und schließt die Stellungnahme wie folgt: "Wir danken allen, einschließlich unserer Landsleute in Deutschland, die am russischen Panzer Blumen niederlegten. Von nun an steht dieser für den Kampf gegen den Neonazismus in der Ukraine."

Montag, 13. Februar 2023

Sag zum Abschied leise Scheiße

Den Beruf "Ballettdirektor" kann es in Hannover nur geben, weil der Steuerzahler kräftig zuschießt. Das Land Niedersachsen subventioniert Theater und Orchester jedes Jahr im dreistelligen Millionenbereich, darunter auch die Staatsoper Hannover mit seiner Ballettsparte. Von den Trippelschritten abseits des wirtschaftlichen Wettbewerbs von Kulturschaffenden im Opernhaus Hannover kriege ich als Kunstbanause normaler Weise nichts mit. Das hat sich nun kurzfristig geändert, weil der großartige Ballettdirektor Marco Goecke der Kritikerin Wiebke Hüster von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Scheiße ins Gesicht geschmiert haben soll.

Die Frankfurter Allgemeine schildert den in Rede stehenden Vorfall vom 11.02.2023 so: "Im Foyer des Opernhauses stellte der fünfzigjährige Goecke sich wütend unserer nichts ahnenden – und ihm persönlich bis dahin nicht bekannten – Kritikerin in den Weg, um zu fragen, was sie in der Premiere zu suchen habe. Offenbar provoziert durch ihre Rezension seines Den Haager Ballettabends „In the Dutch Mountains“, drohte er ihr zunächst ein „Hausverbot“ an und warf ihr vor, für Abonnementskündigungen in Hannover verantwortlich zu sein. Immer stärker außer Fassung geratend, wurde Goecke schließlich handgreiflich: Er zog eine Papiertüte mit Tierkot hervor und traktierte das Gesicht unserer Tanzkritikerin mit dem Inhalt."

Der SPIEGEL beschreibt die Tat ähnlich: "Nach Angaben der Betroffenen hatte Goecke sie am Samstag während einer Pause der Premiere zu einem neuen Ballettstück im Foyer des Theaters verbal konfrontiert und ihr anschließend Hundekot ins Gesicht geschmiert."

Seit der berühmten Fettecke von Joseph Beuys hat sich die Wahrnehmung von Kunst im öffentlichen Raum allerdings gewandelt und so könnte man ganz entfernt daran denken, dass die Anbringung von Hundekot im Gesicht einer Kritikerin unter den Schutz der Kunstfreiheit als ein Grundrecht fällt, weil darunter jede künstlerische Ausdrucksform fällt, die vom Betrachter auf verschiedene Weise interpretiert werden kann und die deshalb immer neue Deutungsmöglichkeiten eröffnet. Letztlich ist jedes Verhalten geschützt, das dazu dient, der Idee eines Künstlers einem Publikum zugänglich zu machen, da Kunst als Kommunikationsgrundrecht auf die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit angewiesen ist.

Wollte der hochbegabte Ballettdirektor den anwesenden Gästen im Opernhaus Hannover seine persönlichen Auffassung "Scheißkritikerin" mit einer besonders dynamischen Kurzchoreografie demonstrieren? Schließlich ist die Kunstform des Happenings als das Werfen von Gegenständen ins Publikum, Exhibitionismus, Kot-, Blut- und Farborgien, Zerstören, Zerreißen und Verdrecken von Gegenständen und Personen bekannt. Durch unterschiedlichste Handlungen soll eine Schockwirkung auf das Publikum erreicht werden, welches auf diese Weise in das Ereignis einbezogen wird. Das hat Goecke sicherlich erreicht.

Das Niedersächsische Staatstheater selbst wertet den Einsatz von Hundekot gegen die Kritikerin als rechtswidrigen Angriff, spricht aber von einer "impulsiven Reaktion" gegenüber der Journalistin gegen alle Verhaltensgrundsätze der Staatsoper Hannover. Damit habe Goecke das Publikum, die Mitarbeitenden des Hauses und die allgemeine Öffentlichkeit "auf das Extremste verunsichert" und das Theater möchte dem Ballettdirektor deshalb in den nächsten Tagen Gelegenheit geben, sich umfassend zu entschuldigen und der Theaterleitung gegenüber zu erklären, bevor weitere Schritte eingeleitet werden.

Die hannoversche Justiz wird das Verhalten des Ballettdirektors als Körperverletzung und Beleidigung werten und das Arbeitsgericht Hannover würde eine Klage gegen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit Marco Goecke sicherlich abweisen. Ob das Staatstheater Hannover die fällige Kündigung allerdings aussprechen wird, scheint derzeit offen. Denn für einen der weltbesten Choreografen könnten an einem subventionierten Staatsbetrieb, dessen Engagement Hannover vor drei Jahren zu einer der "wichtigsten Ballettstädte der Republik" gemacht hatte, andere Maßstäbe gelten, als in der Privatwirtschaft.