Donnerstag, 28. Dezember 2023

Staatsanwaltschaft Hannover

Eine Nachricht von Google Maps erreicht mich und mir wird mitgeteilt: "Dein Foto wurde 400.000-mal aufgerufen". Es handelt sich um ein Foto von dem Gebäude der Staatsanwaltschaft Hannover am Volgersweg 67. Wenn man bei Google nach "Staatsanwaltschaft Hannover" sucht, wird dieses Foto auch prominent angezeigt und es freut mich natürlich, wenn ich Menschen auf der Suche nach der Staatsanwaltschaft Hannover helfen kann. Bei den Google-Rezensionen kommt die Staatsanwaltschaft Hannover mit zwei Sternen nicht so gut weg, wobei das natürlich nicht an mir liegt. Ich habe dieser überaus kompetenten Strafverfolgungsbehörde 5 Sterne gegeben, weil sie fast alle Strafverfahren gegen mich eingestellt hat.

Vielleicht mache ich auch mal ein Foto von der Staatsanwaltschaft Verden, bei der aktuell zwei Ermittlungsverfahren gegen mich geführt werden, natürlich wegen dieses Blogs, der immer wieder für Aufmerksamkeit bei der Justiz sorgt. Die Ermittlungsverfahren basieren auf den Lichtbildern folgender Blogeinträge und mir wird das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen gem. § 86a StGB durch Bildbeiträge in folgenden Blogartikeln vorgeworfen: https://fachanwalt-fuer-it-recht.blogspot.com/2020/04/rueckgabe-der-anwaltszulasssung.html und https://fachanwalt-fuer-it-recht.blogspot.com/2020/04/corona-widerstand-wird-nicht-geduldet.html sowie https://fachanwalt-fuer-it-recht.blogspot.com/2022/12/adel-gegen-deutschland.html

Ich habe der Polizeidirektion Hannover mitgeteilt, dass ich in den dort verwendeten Bildern gar keine Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen erkennen kann. Ich bin mir sicher, dass die Staatsanwaltschaft Verden auch keine Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen in meinen Illustrationen erkennen kann und das Verfahren bald einstellt. Dann bekommt die Staatsanwaltschaft Verden bei den Google-Rezensionen auch 5 Sterne von mir und ich mache ein schönes Foto von dem Gebäude, in dem die Staatsanwälte und Staatsanwältinnen in Verden ihre Arbeit verrichten.

Dienstag, 31. Oktober 2023

HSV klagt auf Schadensersatz nach verlorenem Prozess um viagogo-Tickets

Nach der Niederlage der HSV Fußball Aktiengesellschaft vor dem Landgericht Hamburg durch das Urteil vom 14.10.2022 zum Az.: 312 O 106/20 verlangt der HSV nun mit einer weiteren Klage die Kosten des ersten Verfahrens in Höhe von über EUR 10.000,- als Schadensersatz und weitere Vertragsstrafen, weil die Beklagten trotz Verpflichtung zur Erteilung einer Auskunft weder Namen noch Anschrift der Zweiterwerber der Karten für das Derby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli genannt haben. Das Landgericht Hamburg hatte die erste Klage der HSV AG ganz überwiegend abgewiesen, weil die HSV AG keine Rechtsverletzung bei der Weitergabe der Tickets durch die in Stuttgart wohnenden Beklagten hatte darlegen können. Damit soll nun nicht das Unvermögen des HSV, den Beklagten eine Vertragsverletzung beim Weiterverkauf der Tickets nachzuweisen, maßgebliche Ursache für den durch den Prozess entstandenen Schaden beim HSV sein, sondern die Nichterteilung der gewünschten Auskunft durch die verklagten Ersterwerber der Fußball-Tickets.

Die neue Klage auf Schadensersatz wurde nun vom Landgericht Hamburg per Beschluss vom 27.10.2023 zum Az.: 312 O 184/23 an das Landgericht Stuttgart verwiesen, weil das vom HSV zunächst angerufene Landgericht Hamburg nicht zuständig war. Das Landgericht Hamburg wies darauf hin, dass im Falle des Anspruchs auf eine Vertragsstrafe die Klage auf Zahlung am Erfüllungsort der gesicherten Hauptverbindlichkeit in der Regel am Schuldnerwohnsitz zu erheben sei und im Falle eines Schadensersatzanspruchs der Erfüllungsort bei vertraglichen Ansprüchen derjenige der verletzten primären Leistungspflicht sei. Es könne dahinstehen, ob die Hauptleistungspflicht des Vertragspartners nach den AGB in der vollständigen Zahlung des für den Spielbesuch zu zahlenden Preises oder in der sich aus den AGB ergebenden Unterlassungsverpflichtung oder in der Erteilung der Auskunft bei Zuwiderhandlungen liege. Denn in allen drei Fällen sei nach § 269 I BGB Erfüllungsort der Wohnsitz des Vertragspartners. Nun wird in Stuttgart über die Zahlungsklage des HSV entscheiden.

Dienstag, 3. Oktober 2023

Brandmauerland

Brandmauer AfD
Die alte Mauer ist weg, die neue Mauer ist da und Deutschland feiert trotzdem. Am Tag der Deutschen Einheit im Jahre 2023 gibt keine deutsche Einheit mehr, denn quer durch Deutschland zieht sich eine Brandmauer. In der Architektur gibt es Brandmauern, die das Übergreifen von Feuer verhindern sollen. Die Brandmauer, die Deutschland aktuell teilt, ist eine politische Brandmauer. Sie soll den parteipolitischen Einfluß der AfD auf ein Minimum reduzieren und die AfD innerhalb des deutschen Parteienspektrums isolieren. Diese Brandmauer soll undurchlässig sein und jede Form der Kooperation mit der AfD auf europäischer, Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene ausschließen.

Wie bei einer physischen Brandmauer scheint die Angst vor einer Bedrohung Antrieb für die Mauer eines totalen Kooperationsverbots zu sein. Es ist die Angst vor der AfD, die man regelmäßig schon den Schlagzeilen der Presselandschaft entnehmen kann, wenn von neuen "katastrophalen" Wahlprognosen zu Gunsten der AfD die Rede ist. Wovor haben die anderen Parteien so große Angst, wenn es ihrer Ansicht nach der totalen Ausgrenzung der AfD bedarf? Ist es die Angst davor, dass die Kooperation mit der AfD Deutschland in eine rechtsextreme und europafeindliche Diktatur führen würde oder fürchten Parlamentarier die Bedrohung ihrer eigenen politischen und damit auch wirtschaftlichen Zukunft?

Da eine Partei, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, vom Bundesverfassungsgericht gem. Art. 21 Abs. 2 GG i. V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz als verfassungsfeindlich eingestuft und verboten werden kann, sollte der erneute Weg in eine Diktatur schon deshalb verrsperrt sein und jedenfalls im gesetzgebenden Parlament keine Angst auslösen.

Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass der Versuch der umfassenden Ausgrenzung der AfD und deren pauschalen Verunglimpfung als Nazi-Partei vorrangig das Ziel hat, die jahrzehntelang bestehende Hackordnung der Parteien und deren Finanzierung möglichst aufrecht zu erhalten und eine starke Konkurrenz mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verdrängen. AfD-Politiker vom Format des Fraktionsvorsitzenden der AfD Thüringen machen es anderen Parteien verhältnismäßig leicht, die Klaviatur des NS-Vergleichs zu bedienen, wenn selbst die Justiz der Ansicht ist, Björn Höcke durfte als Nazi und Faschist bezeichnet werden. Das Kalkül der AfD-Gegner: "Wer mit Faschisten sympathisiert, ist nun mal selber einer. Ganz einfach."

Dennoch war die Flucht in die Brandmauertaktik von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil eine Kooperation aller anderen Parlamentarier mit den demokratisch gewählten Vertetern der AfD schon in dem Moment begann, als man zusammen in einem Parlament saß, die Sitzordnung im Plenarsaal akzeptierte und in Parlamentssitzungen gemeinsam abstimmte. Nur ein Beispiel: Am 07. April 2022 stimmten im Bundestag 176 Abgeordnete der CDU/CSU, 79 Abgeordnete der FDP, 76 Abgeordnete der AfD, 29 Abgeordnete der Linken, 9 Abgeordnete der SPD und 6 Abgeordnete der Bündnis90/Grüne gegen die Corona-Impfpflicht für Menschen ab 60 Jahren.

Insgesamt stimmten 296 Abgeordnete mit "Ja" und 378 Abgeordnete mit "Nein", so dass der Gesetzesentwurf scheiterte und von einer Brandmauer war keine Rede. Ersichtlich gab es stets nur den von Konkurrenzdenken geprägten Wunschtraum einer funktionierenden Brandmauer zwischen den Parteien, die parteipolitische Realität sah immer anders aus. Das werbewirksam inszenierte Brandmauerspielchen diente nur der Stigmatisierung der AfD und verschaffte den anderen Parteien eine willkommene Möglichkeit, sich nicht mit den politischen Argumenten der AfD auseinandersetzen zu müssen.

Damit hat die Angst der lange etablierten Parteien und deren ständig propagierter Wunsch einer umfassenden AfD-Ausgrenzung eine Brandmauer in der Bevölkerung Deutschlands geschaffen, die sich nun auch am Jahrestag der Wiedervereinigung nicht mehr wegfeiern läßt. Auf der einen Seite stehen die "Demokraten", auf der anderen Seite die "Nazis". In einer Demokratie sollten sich allerdings die besseren Argumente durchsetzen und keine Boykottpflicht. Wer unabhängig von politischen Inhalten das Verbot einer parlamentarischen Zusammenarbeit mit der AfD propagiert, grenzt bundesweit zwischen 10 und 30 Prozent des Wahlvolks aus und gibt diesen Wählern zu verstehen, dass man ihre Ansichten pauschal und ohne jede Anhörung ablehne und alles erdenklich mögliche unternehmen werde, dass ihr durch die Wahl erklärter Wille keinesfalls ernst genommen werde.

Deshalb haben sich alle Parteien, die eine Brandmauer gegen die AfD befürworten, als Demokratiefeinde entlarvt, denn das Wesen einer Demokratie ist mit dem Prinzip der Volkssouveränität verknüpft, in welcher die Staatsgewalt vom Volk ausgeht und dessen Stimme nach den Wahlen durch die von ihm gewählten Vertreter immer zu hören und soweit mehrheitsfähig auch zu berücksichtigen ist. Ganz einfach.

Dienstag, 29. August 2023

Rammstein - Ermittlungen gegen Till Lindemann eingestellt

Die der Presse heute zu entnehmenden Nachrichten, dass die Staatsanwaltschaft Berlin ein gegen Till Lindemann, den Sänger der Band Rammstein, geführtes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung von Sexualdelikten wie auch Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz eingestellt hat, lassen sich auf eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Berlin vom 29.08.2023 zurückführen.

Die Auswertung der verfügbaren Beweismittel – vor allem der Presseberichterstattung, die sich auf anonyme Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber bezieht, wie auch der ergänzenden Vernehmung von Zeuginnen – habe keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass Till Lindemann gegen deren Willen sexuelle Handlungen an Frauen vorgenommen, diesen willensbeeinflussende oder -ausschaltende Substanzen verabreicht oder gegenüber minderjährigen Sexualpartnerinnen ein Machtgefälle ausgenutzt hat, um diese zum Geschlechtsverkehr zu bewegen. Strafrechtlich relevante Anhaltspunkte für Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz lägen ebenfalls nicht vor.

Das klingt aus der Sicht von Herrn Lindemann zunächst einmal äußerst erfreulich. Allerdings waren die Ermittlungen aufgrund von Anzeigen Dritter im Zusammenhang mit Presseberichten eingeleitet worden und die dort lediglich wiedergegebenen Angaben von Zeuginnen und Zeugen konnten durch die Ermittlungen nicht bestätigt werden. Von erheblicher Bedeutung in dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren war deshalb der Umstand, dass sich mutmaßliche Geschädigte bislang überhaupt nicht an die Strafverfolgungsbehörden gewandt hatten. Die Möglichkeit, etwaige Tatvorwürfe ausreichend zu konkretisieren, bestand für die Staatsanwaltschaft daher ebenso wenig wie die Gelegenheit, sich einen Eindruck von der Glaubwürdigkeit der mutmaßlichen Geschädigten und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben im Rahmen von Vernehmungen zu verschaffen.

Die Angaben der Zeugin Kyla Shyx, die zunächst über „Youtube“ Vorwürfe erhoben hatte, stellten entweder Rückschlüsse aus Beobachtungen dar oder seien ihr von anderen geschildert worden. Zu dem aus den Medien bekannten Vorfall zum Nachteil der sich als Shelby Lynn bezeichnenden Person im Umfeld des Konzerts der Band Rammstein in Vilnius am 22. Mai 2023 haben die litauischen Behörden die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgelehnt. Der Staatsanwaltschaft Berlin lagen Unterlagen der litauischen Behörden vor. Diese wurden ausgewertet. Auch hier ergaben sich keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte für Sexualstraftaten durch Till Lindemann.

Der in der Presseberichterstattung dargestellte Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen über eine junge Frau, die vermeintlich als 15-Jährige eine sexuelle Beziehung mit Lindemann eingegangen sein will, konnte ebenfalls nicht erhärtet werden. Denn auch diese Zeugin blieb anonym und konnte deshalb nicht vernommen werden. Gegen die Tourmanagerin war aufgrund von Medienberichten wegen des vermeintlichen Zuführens junger Frauen bei Konzerten von Rammstein in den Backstagebereich Anzeige erstattet worden. Insoweit haben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten ergeben. Das gegen sie geführte Verfahren wurde daher in gleicher Weise eingestellt.

Damit ist einerseits festzuhalten, dass die umfangreiche Verdachtsberichterstattung während des Ermittlungsverfahrens zu einer medialen Vorverurteilung in strafrechtlicher Hinsicht geführt hat, die im Ergebnis nicht haltbar ist. Die Beurteilung des nicht strafbaren Verhaltens von Herrn Lindemann vor, während und nach Konzerten der Band Rammstein kann von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens unberührt bleiben. Anderseits ist festzuhalten, dass die Einstellung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht in Rechtskraft erwächst und die Ermittlungen jederzeit wieder aufgenommen werden können, sollten neue Verdachtsmomente zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen und sich etwa vorhandene unmittelbare Zeugen und Zeuginnen den erforderlichen Vernehmungen stellen.

Sollten die Kollegen, welche zivilrechtliche Unterlassungsansprüche wegen unzulässiger Äußerungen über Till Lindemann verfolgen, einen unverhältnismäßigen Drang zur Herbeiführung gerichtlicher Entscheidungen entwickeln, könnte bei den zivilrechtlich in Anspruch genommenen Personen ein ebenso hohes Bedürfnis entstehen, nach bislang unbekannten Zeugen und Zeuginnen zu forschen, die für eine Entlastung in möglichen Zivilprozessen sorgen könnten. Sollten diese Zeugen sich dann aktenkundig äußern, könnte dies enventuell zu einer neuen Runde im Wettlauf um die Wahrheit in Sachen Rammstein führen.

Montag, 21. August 2023

Trotz lebenslanger Altersrente weiter arbeiten

Rente
"Schon früh war für Ulrich Sprakel klar, dass er der Familientradition folgen und Anwalt werden wird. „Das Berufsbild des Anwalts hat mich immer sehr interessiert“, sagt der 66 Jahre alte Jurist. Seit gut einem halben Jahr ist er offiziell Rentner und finanziell gut aufgestellt. Ans Aufhören denkt er jedoch noch lange nicht." So fängt der Artikel unter dem Titel "ABSICHERUNG FÜRS ALTER Wie ein Anwalt für die Rente vorgesorgt hat" in der Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18.08.2023 an, den der Volontär Ole Kaiser geschrieben hat. Immer wieder lese ich in der Presse über Kollegen, denen die Robe zur zweiten Haut geworden zu sein scheint.

Vor über sieben Jahren hatte ich mich schon einmal über einen hannoverschen Kollegen ausgelassen, der seine Zulassung als Rechtsanwalt wohl auch mit ins Grab nehmen wird. Auf den aktuellen FAZ-Artikel habe ich eine ähnliche Antwort: "Schon früh war für Ralf Möbius klar, dass er keiner Familientradition folgen und Anwalt werden wird. „Das Berufsbild des Anwalts hat mich immer sehr interessiert“, sagt der 61 Jahre alte Jurist. Seit gut einem viertel Jahr ist er offiziell Rentner und finanziell gut aufgestellt. Ans Aufhören denkt er jedoch schon seit über 10 Jahren." 

Sich im Gegensatz zu meiner Einstellung an seinen Beruf als Rechtsanwalt auch im Rentenalter festzuklammern könnte damit zusammenhängen, dass das eigene Selbstbild vor allen Dingen von der gesellschaftlichen Stellung als Anwalt abhängt und über die Jahre andere Perspektiven abseits eines juristischen Blickwinkels schlicht verkümmert sind. Vielfach wird sich der erarbeitete Lebensstandard nur mit der Altersrente nicht auf einem gleichbleibenden Niveau erhalten lassen, so dass viele Kollegen lieber weiter arbeiten, als deutlich kürzer zu treten.

Schließlich werden die Brötchen als Rechtsanwalt zum Ende des Berufslebens auch immer leichter verdient, weil sich Arbeitsabläufe durch die große Berufserfahrung deutlich verkürzen lassen und ein gewachsener Mandantenstamm stetig neue Mandate erzeugt. Es ist deshalb meistens leichter, als verrenteter Anwalt einfach weiter zu arbeiten, als den geordneten Rückzug in den Ruhestand anzutreten. Wer Kaviar dem Dosenfisch vorzieht, darf die Robe deshalb auch gerne etwas länger tragen.

Montag, 12. Juni 2023

Katholischer Priester wittert Volksverhetzung

Im Rahmen eines Streits um die Lesestunde einer Drag-Queen für Familien mit Kindern in einer Filiale der Münchner Stadtbibliothek hat sich nun ein katholischer Priester aus München öffentlich für queere Menschen in die Bresche geworfen. Mit seiner Strafanzeige wegen des Verdachts der Volksverhetzung durch Plakate der AfD, die auch auf Facebook mit der Parole "Hände weg von unseren Kindern!" und einem Foto von einem Jungen, dem sich von hinten eine geschminkte Person mit Bart nähert, zu sehen sind, will der Gottesmann angeblich Drag-Queens vor dem öffentlichen Anprangern als potentielle Missbrauchstäter schützen.
 
Eine durchaus verständliche Geste des Geistlichen, wenn man bedenkt, dass der katholische Theologe und Psychotherapeut Müller Anfang 2010 anhand von Statistiken schätzte, dass schon zu dieser Zeit in Deutschland etwa zwei bis vier Prozent aller katholischen Kleriker, also rund 350 bis 700, Kinder oder Jugendliche sexuell missbrauchten. Wenn man sich dann noch daran erinnert, dass in einem damals von Bischof Reinhard Marx in Auftrag gegebenen Gutachten einer Anwaltskanzlei über Missbrauchsfälle im Erzbistum München und Freising von einer besonders hohen Dunkelziffer bei kirchlichen Missbräuchen ausgegangen wurde, weil dort gezielt einschlägige Akten vernichtet worden sein sollen, kann man dem forschen Priester aus der bayerischen Landeshauptstadt nur Recht geben.

Denn gegen die katholische Kirche und seine Pädoprofis kann auch der schrillste Haufen farbenfroher Drag-Queens nicht anstinken und es könnte zu einer gefährlichen Ablenkung führen, wenn die AfD-Plakate den Eindruck erwecken sollten, offen gelebte Homosexualität sei gefährlicher für Kinder als die zerstörerischen Machenschaften der im verborgenen agierenden Missbrauchssekte unter dem Kreuz. Ob sich der als besonders besorgt präsentierende Münchner Priester mit seinem Vorpreschen einen besonders warmen Schafspelz überwerfen möchte, kann ich nicht beurteilen, aber der schwammige Tatbestand der Volksverhetzung würde nicht zum ersten Mal für taktische Spielchen bei der Meinungsbildung benutzt.

Mittwoch, 31. Mai 2023

Roger Schilling

Als ich Anfang der 90er Jahre das Repetitorium Alpmann Schmidt in Hannover zur Vorbereitung auf das 1. juristische Staatsexamen besuchte, gab es in dem Kurs einen Kommilitonen, der sich nach Problemdarstellungen  regelmäßig auf die abschließende Frage des Repetitors "Hat noch jemand eine Idee?" meldete.

Im Laufe der Zeit war es immer wieder "Herr Schilling", der Problemlösungen entwickelte, die höchsrichterlicher Rechtsprechung ähnelten oder dem Ansatz des Bundesgerichtshofs entsprachen. Ich hatte nie den Eindruck, dass sich diese abschließenden Wortmeldungen auf überdurchschnittlichen Fleiß zurückführen liessen. Ich denke, "Herr Schilling" konnte es einfach.

Im Verlauf der Vorbereitungen auf die Prüfung des 1. juristischen Staatsexamens hatte ich die Ehre, als Zuschauer zufällig der mündlichen Prüfung von Roger Schilling in Göttingen beiwohnen zu können. Der Vorsitzende der Prüfungskommission war Professor Dr.  Wolfram Henckel, berüchtigt für seine Strenge und "Henckel trocken" genannt. Ein Kommilitone meldete sich in der Mittagspause der mündlichen Prüfung auf dringendes Anraten der Zuschauer vorsorglich als krank ab, ein anderer fiel durch.

Herr Schilling glänzte trotz der überdurchschnittlichen Härte dieser mündlichen Prüfung mit der Examensnote "gut", was bundesweit etwa 2% der Prüflinge gelang. Über 25% aller Studenten fielen durch die Prüfung zum 1. Staatsexamen. Nach dieser Zeit verlor ich Roger Schilling aus den Augen, bis ich gestern den folgenden vom Bundesgerichtshof erstellten Newsletter in meinem Posteingang fand:

"Bundesgerichtshof Mitteilung der Pressestelle Nr. 085/2023 vom 30.05.2023

Richter am Bundesgerichtshof Roger Schilling ist am 26. Mai 2023 im Alter von 61 Jahren verstorben. 

Herr Schilling, gebürtig aus Hannover, trat nach Abschluss seiner juristischen Ausbildung im August 1995 in den höheren Justizdienst der Freien Hansestadt Bremen ein. Dort war er zunächst bei der Staatsanwaltschaft Bremen, bei dem Landgericht Bremen sowie bei den Amtsgerichten Bremen-Blumenthal und Bremen tätig, bevor er im Januar 1999 bei dem Amtsgericht Bremen zum Richter am Amtsgericht ernannt wurde. Von dort war er in der Zeit von August 2002 bis Februar 2006 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Bundesverfassungsgericht abgeordnet. Hieran anschließend gehörte Herr Schilling - zunächst im Abordnungswege - dem Hanseatischen Oberlandesgericht Bremen an, wo er im Oktober 2006 zum Richter am Oberlandesgericht befördert wurde.

Am 2. März 2009 wurde Herr Schilling zum Richter am Bundesgerichtshof ernannt. Er gehörte zunächst bis Ende Juli 2009 dem im Wesentlichen für das Amtshaftungsrecht, das Recht der öffentlich-rechtlichen Entschädigung sowie für Rechtsstreitigkeiten über Dienstverträge und Geschäftsbesorgungsverhältnisse zuständigen III. Zivilsenat an. Ab August 2009 war er Mitglied des insbesondere für das Familienrecht, für das Vormundschafts- und Betreuungsrecht sowie für das Gewerbliche Mietrecht zuständigen XII. Zivilsenats. Für den XII. Zivilsenat war er zudem seit 2016 stellvertretendes Mitglied im Großen Senat für Zivilsachen.

Die Rechtsprechung namentlich des XII. Zivilsenats hat Herr Schilling während seiner über vierzehnjährigen Zugehörigkeit zum Bundesgerichtshof maßgeblich mitgeprägt. Der Bundesgerichtshof verliert mit ihm einen verdienstvollen Richter und einen liebenswürdigen Kollegen. 

Karlsruhe, den 30. Mai 2023"

Montag, 3. April 2023

Tod eines Bloggers

Mit dem gewaltsamen Tod des Bloggers Maxim Fomin in St. Petersburg, der unter dem Pseudonym Wladlen Tatarskij im Internet publizierte, wird wieder einmal deutlich, dass auch weitgehend eigenständige Blogger gefährlich leben. Wladlen Tatarskij war ein Militärblogger, der den russischen Feldzug in der Ukraine unterstützte. Er starb als einziger durch einen gezielten Sprengstoffanschlag auf einer Veranstaltung der patriotischen russischen Gruppe Cyber Front Z, welche das Zusammentreffen Gleichgesinnter organisiert hatte. Der prorussische Blogger hatte nach einer offiziellen Veranstaltung den Angriff auf die Ukraine wie folgt kommentiert: "Wir werden jeden besiegen, jeden töten, jeden berauben, bei dem das nötig ist. Es wird alles so sein, wie wir es mögen."

In den öffentlichen Kommentaren zur Meldung dieses Anschlags im Internet wird ganz überwiegend Zustimmung zu der Tat geäußert. Hintergrund wird der Umstand sein, dass Tatarskij die russische Aggression verherrlicht und propagandistisch unterstützt hat, durch welche zehntausende Soldaten und Unbeteiligte in der Ukraine verletzt und getötet wurden. Dennoch sollte klar sein, dass auch die journalistische Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Angriffs keine Rechtfertigung für einen Anschlag auf das Leben dieses Bloggers sein kann, selbst wenn er eine derartige Vorgehensweise gegen eigene Gegner mutmaßlich gutgeißen hätte. Gewalt gegen Journalisten ist vollkommen unabhängig vom moralischen Wert und der politischen Motivation ihrer Arbeit abzulehnen.

Donnerstag, 30. März 2023

Sawsan Chebli und die Meinungsfreiheit

Immer wieder liest man in der Tagespresse etwas über die SPD-Politikerin Sawsan Chebli. Ihre Eltern lebten als palästinensische Flüchtlinge im Libanon und kamen 1970 als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland. Nach der Ablehnung ihrer Asylanträge lebten sie geduldet in West-Berlin, wo Frau Chebli als zwölftes von dreizehn Kindern geboren wurde. Ihr Vater wurde zwar dreimal in den Libanon abgeschoben, kehrte aber jeweils wieder nach Deutschland zurück. 1993 erhielt die Familie dann die deutsche Staatsangehörigkeit. Frau Chebli erlangte nach dem Abitur einen Abschluss in Politikwissenschaft und wurde 2014 die erste Sprecherin des Auswärtigen Amts ohne vorherige Diplomatentätigkeit. Ab 2016 war sie Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Berliner Senatskanzlei.

Bekannt wurde Frau Chebli durch ihre unglücklichen Auftritte in Pressekonferenzen und Rechtsstreitigkeiten um kritische Äußerungen in der Öffentlichkeit zu ihrer Person. Für die Veröffentlichung der Äußerung "Was spricht für Sawsan? (...) Befreundete Journalistinnen haben bislang nur den G-Punkt als Pluspunkt feststellen können in der Spezialdemokratischen Partei der alten Männer" erstritt sie im Dezember 2021 vor dem Landgericht Berlin vom Herausgeber des Magazins "Tichys Einblick" 10.000,- Euro Schmerzensgeld. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hatte dagegen den Publizisten Timm Kellner schon im Februar 2020 vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen, weil die Äußerungen "Quotenmigrantin der SPD" und "islamische Sprechpuppe" vom Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt seien. Die Äußerung "Quotenmigrantin der SPD" könne zwar als unverschämt oder kränkend empfunden werden, sei aber "unproblematisch zulässig". Die Bezeichnung "islamische Sprechpuppe" hätte die SPD-Politikerin zwar "hart getroffen", liege aber im Kontext des in Rede stehenden youtube-Videos noch im Rahmen des Zulässigen.

Aktuell hielt das Landgericht Heilbronn einen Kommentar auf Facebook über Frau Chebli mit den Worten "Selten so ein dämliches Stück Hirn-Vakuum in der Politik gesehen wie Sawsan Chebli" für eine von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckte Äußerung und wies eine Klage auf Schmerzensgeld ab. Nicht von der Meinungsfreiheit umfasst seien nur "Schmähkritik, Formalbeleidigung sowie Angriffe auf die Menschenwürde". Eine Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn sei nur dann gegeben, wenn eine Äußerung keinen nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung habe. Dieser Bezug sei aber im Falle des angegriffenen Postings auf Facebook gegeben. Die Klägerin Chebli äußerte sich entsetzt über die Entscheidung des Landgerichts. und befand, dass das Landgericht Heilbronn mit seiner Entscheidung ein falsches Signal setze. Wer allerdings den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Az.: - 1 BvR 2646/15 - liest und versteht, wird in der Regel erkennen, dass ein gerichtliches Äußerungsverbot die Ausnahme sein muss:

"Zu beachten ist hierbei indes, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist. Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten wird. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden.

Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassung wegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben."

Mittwoch, 8. März 2023

Internationaler Weltfrauentag 2023 - Das Urteil

Universität Göttingen

Pünktlich zum internationalen Weltfrauentag 2023 erreicht mich die Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshofs Nr. 046/2023, wonach heute, am 8. März 2023, mit Urteil zum Az.: 6 StR 378/22 die Verurteilung eines Hochschullehrers der Universität Göttingen, der als Doktorvater seine Doktorandin schwer misshandelt hatte, teilweise aufgehoben wurde. Der Professor war vom Landgericht Göttingen wegen mehrfacher gefährlicher Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung, mehrfacher Körperverletzung im Amt, teilweise in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Nötigung und teilweise in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, sowie wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt, nur zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten zur Bewährung verurteilt worden.

Der zuchtbesessene Hochschullehrer hatte seine Doktorandin in zehn Fällen zu Besprechungsterminen außerhalb der Dienstzeiten in sein Büro bestellt, schloss dieses jeweils ab und eröffnete ihr, dass er sie wegen angeblicher Verfehlungen durch Schläge mit einem "Bambusstock" auf das bekleidete Gesäß und auf ihre Waden sowie – bei späteren Taten – mit der flachen Hand auf ihr entblößtes Gesäß "bestrafen" wolle. Als die Doktorandin dies ablehnte, kündigte der Hochschullehrer jeweils an, die Zusammenarbeit mit ihr zu beenden und ihr Promotionsvorhaben nicht weiter zu betreuen. Aus Angst vor den ihr in Aussicht gestellten beruflichen wie – mit Blick auf ein Stipendium – finanziellen Folgen, "willigte" das Opfer in die Schläge durch den Professor in acht Fällen ein. In zwei weiteren Fällen kündigte der Hochschullehrer diese Folgen für den Fall ihrer Weigerung nicht ausdrücklich an, allerdings "willigte" die Doktorandin gleichwohl ein, weil ihr die von ihrem Professor zuvor benannten Konsequenzen "noch präsent" waren.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 30. März 2022 zum Az.: 1 KLs 11/19 jetzt wegen der rechtsfehlerhaften Ablehnung der Strafbarkeit des Hochschullehrers auch wegen Nötigung aufgehoben und an eine andere Kammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen, weil das Landgericht die letzten beiden Tathandlungen auch unter dem Gesichtspunkt einer konkludenten Drohung hätte würdigen müssen. Das Landgericht Göttingen hatte den strengen Doktorvater nur zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt, obwohl die Staatsanwaltschaft Göttingen ein Jahr und acht Monate wegen schwerer Nötigung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung gefordert hatte. Wegen der zu milden Strafe legte nicht nur die Doktorandin, sondern auch die Staatsanwaltschaft Revision beim BGH ein, mit dem Ziel, dass der verurteilte Professor nun eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr erhält, die dazu führen würde, dass der Professor seinen Beamtenstatus und seine Versorgungsbezüge verliert.

Montag, 27. Februar 2023

Panzer vor der russischen Botschaft in Berlin

Seit Freitag vergangener Woche, dem Jahrestag des erneuten russischen Angriffs auf die Ukraine, steht ein zerstörter Panzer des Typs T-72 vor der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin. Ein Verein, der regelmäßig Veranstaltungen mit historischem Bezug in Berlin ausrichtet, hatte sich vor dem Verwaltungsgericht rechtzeitig gegen das Berliner Bezirksamt Mitte durchgesetzt, das eine Ausnahmegenehmigung für Kunst und Kultur im Stadtraum zwecks Aufstellung des Panzerwracks nicht erteilt hatte. Zur Begründung hatte die Stadtverwaltung ausgeführt, dass es wahrscheinlich sei, dass in dem Wrack Menschen gestorben seien. Daher sei die Ausstellung nicht angemessen. Zudem berühre die Ausstellung die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland und eine Genehmigung könne nur im Einvernehmen nach Gesprächen mit der Senatskanzlei bzw. der Bundesregierung erteilt werden.

Dieser Ansicht war das Verwaltungsgericht Berlin im Beschluss vom 11.10.2022 zum Az.: 1 L 304/22 unter Verweis auf die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit entgegengetreten. Es bestehe ein Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung, weil das Verbot nicht geeignet sei, Gefahren vom Straßenverkehr abzuwenden. Der Verein könne sich auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) stützen. Diesem Recht könne die Stadt Berlin keine entgegenstehenden öffentlichen Interessen gegenüberstellen, weil eine konkrete Gefährdung für den Straßenverkehr nicht gegeben sei. Mit dem Aufstellen des Panzerwracks würde der Protest gegen den Angriff der Ukraine durch Russland zum Ausdruck gebracht.

Die russische Botschaft betrachtet die Aufstellung des zerstörten Panzers als eine Provokation, die bei deutschen Bürgern kein Verständnis, keine Unterstützung und kein Mitgefühl finde. Bei der Massenkundgebung "Frieden in der Ukraine" in Berlin am 25.02.2023 hätten sich die Teilnehmer unmissverständlich für eine friedliche Konfliktlösung in der Ukraine und gegen eine Eskalation ausgesprochen, die durch deutsche Waffenlieferungen ans Kiewer Regime und eine weitere Ingangsetzung antirussischer Sanktionsspirale geschürt werde. Der Kommentar der Botschaft zur Installation vor dem Botschaftsgebäude interpretiert die Aufstellung des T-72 dann auch im eigenen Sinne und schließt die Stellungnahme wie folgt: "Wir danken allen, einschließlich unserer Landsleute in Deutschland, die am russischen Panzer Blumen niederlegten. Von nun an steht dieser für den Kampf gegen den Neonazismus in der Ukraine."

Montag, 13. Februar 2023

Sag zum Abschied leise Scheiße

Den Beruf "Ballettdirektor" kann es in Hannover nur geben, weil der Steuerzahler kräftig zuschießt. Das Land Niedersachsen subventioniert Theater und Orchester jedes Jahr im dreistelligen Millionenbereich, darunter auch die Staatsoper Hannover mit seiner Ballettsparte. Von den Trippelschritten abseits des wirtschaftlichen Wettbewerbs von Kulturschaffenden im Opernhaus Hannover kriege ich als Kunstbanause normaler Weise nichts mit. Das hat sich nun kurzfristig geändert, weil der großartige Ballettdirektor Marco Goecke der Kritikerin Wiebke Hüster von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Scheiße ins Gesicht geschmiert haben soll.

Die Frankfurter Allgemeine schildert den in Rede stehenden Vorfall vom 11.02.2023 so: "Im Foyer des Opernhauses stellte der fünfzigjährige Goecke sich wütend unserer nichts ahnenden – und ihm persönlich bis dahin nicht bekannten – Kritikerin in den Weg, um zu fragen, was sie in der Premiere zu suchen habe. Offenbar provoziert durch ihre Rezension seines Den Haager Ballettabends „In the Dutch Mountains“, drohte er ihr zunächst ein „Hausverbot“ an und warf ihr vor, für Abonnementskündigungen in Hannover verantwortlich zu sein. Immer stärker außer Fassung geratend, wurde Goecke schließlich handgreiflich: Er zog eine Papiertüte mit Tierkot hervor und traktierte das Gesicht unserer Tanzkritikerin mit dem Inhalt."

Der SPIEGEL beschreibt die Tat ähnlich: "Nach Angaben der Betroffenen hatte Goecke sie am Samstag während einer Pause der Premiere zu einem neuen Ballettstück im Foyer des Theaters verbal konfrontiert und ihr anschließend Hundekot ins Gesicht geschmiert."

Seit der berühmten Fettecke von Joseph Beuys hat sich die Wahrnehmung von Kunst im öffentlichen Raum allerdings gewandelt und so könnte man ganz entfernt daran denken, dass die Anbringung von Hundekot im Gesicht einer Kritikerin unter den Schutz der Kunstfreiheit als ein Grundrecht fällt, weil darunter jede künstlerische Ausdrucksform fällt, die vom Betrachter auf verschiedene Weise interpretiert werden kann und die deshalb immer neue Deutungsmöglichkeiten eröffnet. Letztlich ist jedes Verhalten geschützt, das dazu dient, der Idee eines Künstlers einem Publikum zugänglich zu machen, da Kunst als Kommunikationsgrundrecht auf die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit angewiesen ist.

Wollte der hochbegabte Ballettdirektor den anwesenden Gästen im Opernhaus Hannover seine persönlichen Auffassung "Scheißkritikerin" mit einer besonders dynamischen Kurzchoreografie demonstrieren? Schließlich ist die Kunstform des Happenings als das Werfen von Gegenständen ins Publikum, Exhibitionismus, Kot-, Blut- und Farborgien, Zerstören, Zerreißen und Verdrecken von Gegenständen und Personen bekannt. Durch unterschiedlichste Handlungen soll eine Schockwirkung auf das Publikum erreicht werden, welches auf diese Weise in das Ereignis einbezogen wird. Das hat Goecke sicherlich erreicht.

Das Niedersächsische Staatstheater selbst wertet den Einsatz von Hundekot gegen die Kritikerin als rechtswidrigen Angriff, spricht aber von einer "impulsiven Reaktion" gegenüber der Journalistin gegen alle Verhaltensgrundsätze der Staatsoper Hannover. Damit habe Goecke das Publikum, die Mitarbeitenden des Hauses und die allgemeine Öffentlichkeit "auf das Extremste verunsichert" und das Theater möchte dem Ballettdirektor deshalb in den nächsten Tagen Gelegenheit geben, sich umfassend zu entschuldigen und der Theaterleitung gegenüber zu erklären, bevor weitere Schritte eingeleitet werden.

Die hannoversche Justiz wird das Verhalten des Ballettdirektors als Körperverletzung und Beleidigung werten und das Arbeitsgericht Hannover würde eine Klage gegen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit Marco Goecke sicherlich abweisen. Ob das Staatstheater Hannover die fällige Kündigung allerdings aussprechen wird, scheint derzeit offen. Denn für einen der weltbesten Choreografen könnten an einem subventionierten Staatsbetrieb, dessen Engagement Hannover vor drei Jahren zu einer der "wichtigsten Ballettstädte der Republik" gemacht hatte, andere Maßstäbe gelten, als in der Privatwirtschaft.