Freitag, 20. September 2019

Das verbotene Video mit dem schlagenden Sänger

Wenn man das Video mit einem bekannten deutschen Sänger sieht, wie er zunächst einen Mann mit körperlicher Gewalt am Filmen hindern will und anschließend ohne ersichtlichen Grund einige Schritte weiter auf einen anderen Mann zugeht, um dann mit einer Umhängetasche auf ihn einzuschlagen, wundert man sich nicht nur über die devote Haltung des Geprügelten, sondern auch über die unverhohlene Aggressivität des angreifenden Künstlers.

Wie einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 09. März 2017 zum Az.: 15 U 46/16 zu entnehmen ist, hatte die Staatsanwaltschaft Köln das anschließende Ermittlungsverfahren gegen den Sänger wegen des Verdachts der (gefährlichen) Körperverletzung und Nötigung am 30.6.2016 allerdings eingestellt und das Landgericht Köln die Veröffentlichung des Videos in der konkreten Form sogar verboten, weil es nur die Situation der körperlichen Auseinandersetzung zeige, aber keine Informationen zu der Situation im Vorfeld vermittele, in welcher die Angegriffenen angefangen hätten, den Sänger und seine beiden Begleiter gegen deren ausdrücklich erklärten Willen zu fotografieren.

Die Veröffentlichung der Aufnahmen wurde im folgenden Zivilprozess damit verteidigt, dass der prominente Musiker nicht nur versucht habe, "die Fotografen körperlich wegzudrängen", sondern dass er sie vielmehr geschlagen habe und zwar mit einem gefährlichen Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, nämlich der mindestens 2,3 Kilogramm schweren Ledertasche mit Schultergurt, die einem Opfer mit Wucht gegen den Kopf geschleudert wurde. Der Rechtsanwalt des Prominenten hatte das aggressive Verhalten seines Mandanten nämlich öffentlich unter Hinweis auf das geltende Persönlichkeitsrecht gerechtfertigt, weil es auch Prominente in Deutschland nicht dulden müssten, "dass Fotos aus ihrem Privatleben oder im privaten Alltag veröffentlicht und verbreitet werden". Allein um diesem vorzubeugen habe der Künstler "sodann selber versucht, die Fotografen körperlich wegzudrängen, um sie vom weiteren Fotografieren abzuhalten".

Das Oberlandesgericht Köln ordnete den Künstler als prominente Person mit Leitbild- und Kontrastfunktionen ein, die dem Rezipienten Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen bieten könne und bejahte deshalb in Kombination mit der verbalen und zum Teil auch tätlichen Aggressivität ein erhebliches Berichterstattungsinteresse der Öffentlichkeit am veröffentlichten Geschehen. Und obwohl auch das Oberlandesgericht Köln in der zweiten Instanz zu dem Schluss kam, dass einiges dafür sprechen könnte, dass jedenfalls das Schleudern der Tasche keine erforderliche Notwehrhandlung gewesen sei, um einen gegenwärtigen Angriff auf das Recht am eigenen Bild abzuwehren und die Tasche wegen ihrer Größe und ihres Gewichts in ihrer konkreten Flugbahn kaum zu berechnen war, weshalb die erkennbare und nahe liegende Gefahr bestand, das Prügelopfer zu verletzen, mochte das Oberlandesgericht das erstinstanzlich ausgesprochene Verbot der Videoveröffentlichung nicht kippen.

Weil es nahe liege, aus den lediglich zusammengefügten Bildsequenzen den falschen Schluss zu ziehen, allein das Vorhandenseins einer Kamera habe den Künstler übermäßig aggressiv werden lassen, sei das Persönlichkeitsrecht des Sängers rechtswidrig beeinträchtigt. Vor dem Hintergrund dessen, dass der in der konkret untersagten Bildsequenz dreimal zu sehende Schlag mit der Tasche gleichsam den Höhepunkt der Auseinandersetzung darstelle, liege in dieser konkreten Darstellung eine unter den vorliegenden Umständen nicht hinnehmbare Beeinträchtigung der Rechte des Künstlers. Das betreffende Videomaterial wäre so zusammengefügt worden, dass die Version mit der den Sänger in der Öffentlichkeit besonders stark beeinträchtigenden Szene des Schlages mit der Tasche nicht nur – entgegen der zutreffenden chronologischen Reihenfolge der Ereignisse – gleichsam als „Aufmacher“ direkt zu Beginn der Berichterstattung zeige, sondern darüber hinaus noch zweimal wiederholt werde, einmal davon in Zeitlupe, eine nicht hinnehmbare Anprangerung sei.

Wenn man das aggressive Geschehen auf dem Flughafen auch heute noch im Internet zu sehen bekommt, wird dies wohl daran liegen, dass nur das Zeigen der konkret zusammengeschnittenen Filmsequenz verboten wurde und ein zivilrechtliches Verbot natürlich nur von demjenigen zu beachten ist, demgegenüber dieses im Urteil ausgesprochen wurde. Insbesondere der Schlag mit der Umhängetasche beinhaltet angesichts des Umstands, dass sich der Künstler zur erfolgreichen Ausführung dieses Angriffs noch auf das Opfer zubewegen musste, einen deutlichen Bestrafungscharakter, für den das Oberlandsgericht Köln zurückhaltend den Begriff "Notwehrexzess" ins Spiel gebracht hatte. In einem anderen Kontext und in zutreffender chronologischer Reihenfolge präsentiert, dürfte das Videomaterial über den prominenten Sänger daher auch heute noch für das Publikum von Interesse und eine Veröffentlichung deshalb durchaus zulässig sein.

Freitag, 13. September 2019

Steini sülzt

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält die AfD für nicht bürgerlich. Wer bürgerlich sei, "der kann nicht gleichzeitig einem ausgrenzenden, autoritären oder gar völkischen Denken huldigen“, sagt Steini. Der Bundespräsident wird nach Artikel 54 des Grundgesetzes von der Bundesversammlung gewählt und hat geschworen, dass er seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen werde. Sozusagen ein völkischer Präsident.

Das Grundgesetz legitimiert aber nicht nur den völkischen Bundespräsidenten, sondern grenzt auch Ausländer aus. Es gibt dort nämlich Deutschengrundrechte wie die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit und die Freizügigkeit, die nur Deutsche für sich in Anspruch nehmen können. Diese werden von den Jedermanngrundrechten unterschieden, die auch Ausländern zustehen. Art. 12a des Grundgesetzes grenzt sogar Frauen aus, denn nur Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden.

In der Präambel des Grundgesetzes steht dann ausdrücklich, dass das Grundgesetz nur für das Deutsche Volk gilt. Sozusagen ein völkisches Gesetz, welches Menschen auf Grund ihrer Nationalität ausgrenzt. Steini sagt über die CDU und die SPD, dass sich diese beiden Volksparteien nicht erst seit dem Beginn der großen Koalition in Diskussionen über ihre politische Führung, über Strategie und inhaltliche Orientierung befinden. Sind CDU und SPD orientierungslose Volksparteien, die völkischem Denken huldigen oder bürgerliche Parteien die völkische Parteien ausgrenzen und bürgerlich denken? Möchte die AfD eine bürgerliche Partei sein, völkischem Denken huldigen und dabei Volksparteien ausgrenzen?

Ist der Bundespräsident gar nicht der Präsident des deutschen Volkes sondern ein Präsident der deutschen Bürger, weil er bürgerlichem Denken und nicht völkischem Denken huldigt? Ernennt der Bundespräsident Bundesrichter und Bundesbeamten, unterzeichnet er Gesetze und vertritt Deutschland völkerrechtlich kraft der Autorität seines Amtes und entspringen seine Amtshandlungen damit autoritärem und sogar völkischem Denken? Wenn das Staatsvolk alle Bürger eines Staates sind, sind deren Parteien dann bürgerliche oder völkische Parteien oder gar beides? Oder wollte sich Steini einfach nur mal wieder beim bürgerlichen Volk wegen der vielen völkischen Bürger melden?

beA-Warnung: Aufgrund der aktuellen Uhrzeit kann die Übertragung vor 24:00 Uhr womöglich nicht abgeschlossen werden.

Mit Beschluss vom 20. August 2019 zum Az.: VIII ZB 19/18 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein Rechtsanwalt nicht ohne Weiteres schon um 20:00 Uhr vor Ablauf einer um 24:00 Uhr endenden Frist mit weiteren Übermittlungsversuchen für einen fristgebundenen Schriftsatz per Fax an ein Gericht aufhören darf, weil der Anwalt in Betracht ziehen muss, dass das bisherige Scheitern auf einer erhöhten Beanspruchung des Faxanschlusses des Gerichts während der üblichen Bürozeiten beruht habe.

Weil das anwaltliche Faxgerät von 15:43 Uhr bis 19:22 Uhr bei mehr als 54 Übermittlungsversuchen die Rückmeldung "besetzt" angezeigt hatte, gab der Kollege schließlich entnervt auf. Zu früh, wie der Bundesgerichtshof meint. Für den dadurch verspäteten Fristverlängerungsantrag wurde deshalb auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und die Frist galt als versäumt.

Die diesem Beschluss zu Grunde liegende Konstellation ist zwar nicht direkt mit der Problematik vergleichbar, mit welcher ich mich kurz vor einem Fristablauf durch das besondere elektronische Anwaltspostfach konfrontiert sah, aber dennoch stand kurzfristig die Frage einer drohenden Fristversäumnis im Raum. Denn um 23:55 Uhr übermittelte mir mein elektronisches Anwaltspostfach beim E-Mail-Versand die Warnung: "Aufgrund der aktuellen Uhrzeit kann die Übertragung vor 24:00 Uhr womöglich nicht abgeschlossen werden."

Kurz darauf kam allerdings die Bestätigung der erfolgreichen und fristgemäßen Versendung, was aber nicht immer garantiert werden kann, denn auch technische Probleme wie Fehler beim Hochladen sind bei Verwendung des beA nicht ausgeschlossen, wie folgende Mitteilung zeigt und dann wird man sich als Rechtsanwalt möglicherweise ein nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes und kausales Verschulden bei der Versäumung einer Frist vorwerfen lassen müssen.

Mittwoch, 11. September 2019

Amtsgericht Nienburg 9/11

Der 11. September gilt vielen als ein Tag, der die Welt verändert hat und weckt immer wieder Erinnerungen an die verheerenden Terroranschläge in New York. Bis heute gilt "Nine-Eleven" oder auch "9/11" als ein Symbol für die Auseinandersetzung der westlichen mit der islamischen Welt und damit als ein Zusammenprall der Kulturen auf dem Erdenball. Ein Teil der Erinnerung an die Attacken ist aber auch, dass die Hintermänner der Anschläge von den USA selbst nach vielen Jahren noch zur Rechenschaft gezogen wurden und sich die Täter am Ende nicht verstecken konnten.

Vor diesem Hintergrund drängt sich der Verdacht auf, dass bei der Terminierung einer mündlichen Verhandlung am Amtsgericht Nienburg im Rahmen einer historischen Auseinandersetzung ganz bewusst der 11. September 2019 gewählt wurde, um den rechtschaffenen Bürgern in Deutschland ein Signal zu senden, dass es an diesem Tag in dem sonst so beschaulichen Weserstädtchen um die Auseinandersetzung zwischen Recht und Unrecht, Wahrheit und Lüge und damit um nicht weniger als eine Generalabrechnung mit jahrelangem Dauerterror geht.

Der immerwährende Kampf zwischen Gut und Böse nähert sich in Nienburg einem Höhepunkt wenn darum gestritten wird, ob das Böse auch beim Namen genannt werden darf oder ob auch die Dämonen der Unterwelt ein Recht darauf haben, sich wenigstens für einen Moment hinter der Maske der Rechtschaffenheit verstecken zu dürfen, um ihrer gerechten Strafe noch ein weiteres Mal entfliehen zu können. Doch das Gute hat wie immer eine kleine Überraschung in der Hinterhand und nur ein handverlesenes Publikum darf den Ausgang der Auseinandersetzung miterleben.

Denn die Kräfte des Lichts sind gut gewappnet und haben sich diesmal generalstabsmäßig auf die entscheidende Schlacht vorbereitet, in welcher Hilfstruppen aus allen vier Himmelsrichtungen erwartet werden, um auf Seiten der Gerechtigkeit das Schwert ins Feld führen zu können. Mit vier gesiegelten Beistandspakten im Gepäck warten die Boten des Rechts mit ihren gerüsteten Vasallen nur darauf, Gottes Willen zu vollstrecken und die Vorherrschaft des Rechts endgültig zu sichern.

Den Dämon der Lüge auf ewig in den Tartaros zu verbannen, ist das Ziel der verbündeten Kräfte und es sieht diesmal so aus, als ob es mit vereinter Anstrengung gelingen wird, die Ketten für eine dauerhafte Fesselung gemeinsam mit den vier verbündeten Mächten so stark zu schmieden, dass sich der seinen Häschern immer wieder entkommene Derwisch nicht länger dem eisernen Griff der Gerechtigkeit entwinden kann. Am 11. September wird im Amtsgericht Nienburg abgerechnet.

Sonntag, 8. September 2019

Frauenknast Vechta

Als ich vor Kurzem das Amtsgericht Vechta kennen lernen durfte, bin ich vorher an der Justizvollzugsanstalt für Frauen vorbeigefahren, die unmittelbar neben dem Amtsgericht liegt. Nach der mündlichen Verhandlung im Amtsgericht bin ich dann noch einmal um die Justizvollzugsanstalt herum gegangen, um mir das Gebäude wenigstens von außen anzusehen. Weil ich wohl etwas zu nah an den Eingang herangetreten bin, sprang mir ein freundlicher Justizbeamter entgegen und wollte wissen, ob er mir helfen könne. Als ich ihm sagte, dass ich Anwalt sei und eine Mandantin habe, die kürzlich eine Ladung zum Haftantritt für die JVA Vechta bekommen hatte, hellte sich seine Miene etwas auf und er fragte mich, ob sie das Merkblatt zum Strafantritt bekommen hätte. Ich sagte vorsichtshalber "nein" und 60 Sekunden später hatte ich das Merkblatt in der Hand.

Der Wachtmeister gab mir noch den freundlichen Hinweis, dass Zigaretten auch von Nichtrauchern mitgenommen werden sollten, weil Tabak im Knast eine gängige Währung sei. Das Merkblatt zählte folgende Mitbringsel als erlaubt auf: 5 x Oberbekleidung (z. B. 2 Röcke, 3 Hosen, 5 Pullover), 1 Oberjacke, 2 Blusen, 4 Paar Schuhe ohne Stahlkappe (1 Paar Schuhe, 1 Paar Turnschuhe, 1 Paar Badelatschen,1 Paar Hausschuhe), 3 Handtücher, 2 Badehandtücher, 2 Geschirrtücher, 3 Waschlappen 2 Jogginganzüge, 1 Bademantel, 2 Nachthemden oder Schlafanzüge, div. Unterwäsche und Socken, 10 T-Shirts, 2 Strickjacken, 1 Kulturtasche ungefüttert, nicht mehr als 5 Schmuckstücke einschließlich Armbanduhr, 1 Kaffeemaschine mit Glaskanne (ohne Thermoskanne), 1 CD-Player oder Radio, 1 Fön bis 1200 Watt, 2 x Bettwäsche komplett und Genussmittel wie Kaffee, Tee, Zigaretten und Tabak im Gesamtwert von bis zu EUR 40,-.

Fast hätte ich noch nachgefragt, warum Schachspiel oder Skatkarten nicht erlaubt seien, aber da hätte ich ohnehin den Falschen gefragt. Wenn man davon ausgeht, dass sich weibliche Kriminalität häufig auf gewalttätige Väter und Partner zurückführen lässt, die ihre Familien schlecht versorgt und Frauen und Töchter oftmals sexuell missbraucht haben, mag der Drang zu männlich dominierten Gesellschaftsspielen im Frauenknast ohnehin nicht sehr ausgeprägt sein. Von Kollegen hatte ich außerdem gehört, dass die meisten Insassinnen mit Drogenproblemen zu kämpfen hätten und gar nicht in der Lage seien, sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Meine Mandantin hatte das Merkblatt auch schon bekommen, Skat- oder Schachspielen kann sie gar nicht. Da bleibt dann wohl nur noch Fernsehen oder Radiohören. Auf 8 Quadratmetern. Für mich wäre das nichts.

Freitag, 6. September 2019

Verbotene Briefwerbung

Briefwerbung ist mindestens so lästig wie E-Mail-Werbung und gegen beide Formen der Belästigung kann man sich auch als Privatperson wehren. Im vom Amtsgericht Hannover mit Datum vom 04.07.2019 zum Az.: 428 C 7796/19 per Beschluss entschiedenen Fall hatte ein Verbraucher von seiner Krankenkasse Werbung per Post mit dem Slogan „Fitness rauf – Risiko runter“ erhalten, trotzdem er einer solchen Zusendung vorher nicht nur nicht zugestimmt, sondern die Krankenkasse ausdrücklich per E-Mail als auch online über deren Website aufgefordert hatte, ihm keine Werbung mehr zuzusenden, weil er schlicht keine Werbung mehr von seiner Krankenkasse bekommen wollte.

Der Europäische Gerichtshof hatte schon vorher entschieden, dass Krankenkassen trotz ihres öffentlichen Charakters und ihrer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe als „Gewerbetreibende“ im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt anzusehen seien, mit der Folge, dass auch für sie das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken gilt. Die Richtlinie würde Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich ausnehmen. Ziel der Richtlinie sei es vielmehr, in Bezug auf unlautere Geschäftspraktiken und insbesondere irreführende Werbung ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, und zwar unabhängig vom öffentlichen oder privaten Charakter der fraglichen Einrichtung und von der von ihr wahrgenommenen Aufgabe, vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Oktober 2013 in der Rechtssache C‑59/12.

Danach ist auch eine nationale öffentlich-rechtliche Einrichtung wie eine Krankenkasse, die mit der Verwaltung eines gesetzlichen Krankenversicherungssystems betraut ist, als „Unternehmen“ im Sinne der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken anzusehen und unterliegt in dieser Eigenschaft den Vorschriften der Richtlinie, wenn sie – wie im vorliegenden Fall – gegenüber ihren Mitgliedern trotz ausdrücklichem Verbot wirbt, vgl. Urteil des BGH vom 30.04.2014, Az.: I ZR 170/10. Maßgebend für den Rechtsweg ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Rechtsnatur des erhobenen Anspruches, wie sie sich aus dem tatsächlichen Vorbringen der klagenden Partei ergibt. Stellt sich der Klageanspruch nach der ihm vom Kläger gegebenen tatsächlichen Begründung als Folge eines Sachverhalts dar, der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist, so ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet, vgl. BGH, Urteil vom 16.02.1984, Az.: IX 2R 45/83.

Vorliegend richtete sich der Unterlassungsanspruch des belästigten Mitglieds der Kasse nach bürgerlich-rechtlichen Maßstäben, nämlich den §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in das allgemeines Persönlichkeitsrecht. Die Zusendung von Werbepost ohne Einwilligung stellt nämlich grundsätzlich einen Eingriff in die geschützte Privatsphäre des Verbrauchers dar. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Bereich privater Lebensgestaltung und gibt dem Betroffenen das Recht, im privaten Bereich in Ruhe gelassen zu werden. Hieraus folgt ein Recht des Einzelnen, seine Privatsphäre freizuhalten von unerwünschter Einflussnahme anderer und die Möglichkeit des Betroffenen, selbst darüber zu entscheiden, mit welchen Personen und gegebenenfalls in welchem Umfang er mit ihnen Kontakt haben will.

Angesichts des Rechts des Einzelnen, seine Privatsphäre freizuhalten von unerwünschter Einflussnahme anderer, und die Möglichkeit des Betroffenen, selbst darüber zu entscheiden, mit welchen Personen und gegebenenfalls in welchem Umfang er mit ihnen Kontakt haben will. Denn in der - als solche nicht ehrverletzenden – unrechtmäßigen Kontaktaufnahme liegt eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor, wenn sie gegen den eindeutig erklärten Willen des Betroffenen erfolgt, da ansonsten die Freiheit kommunikativen Verhaltens schwerwiegend beeinträchtigt wäre (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2018 - VI ZR 225/17). Das unaufgeforderte Zusenden von Briefwerbung stellt aufgrund der damit verbundenen Intensität der Belästigung einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Verbrauchers dar. Auch Privatpersonen steht unter diesem Gesichtspunkt gegen Versender unerbetener Werbung entsprechend §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB ein Unterlassungsanspruch zu. Der Eingriff ist auch nicht unerheblich. Denn zum einen besteht die Gefahr, dass durch das Überhandnehmen der Werbepost der Briefkasten blockiert wird, so dass weitere Sendungen zurückgeschickt werden. Zum anderen muss der Adressat zum Durchlesen und Sortieren der Briefpost Zeit aufwenden, um zu erkennen, was überhaupt Gegenstand des Briefes ist.

Die für eine einstweilige Verfügung gegen unzulässige Briefwerbung vorausgesetzte Dringlichkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass es dem Inhaber einer absolut geschützten Rechtsposition möglich sein muss, drohende Beeinträchtigungen dieser Position mit sofortiger Wirkung zu unterbinden, vgl. Landgericht Lübeck, Beschluss vom 10.07.2009, Az. 14 T 62/09. Weil die Krankenkasse auf die vorgerichtliche Abmahnung zunächst nicht reagiert hatte, wurde eine einstweilige Verfügung beantragt. Da eine Unterlassungserklärung dann erst nach Beantragung der einstweiligen Verfügung abgegeben wurde, musste der Verfügungsantrag zurückgenommen werden und die Kosten der Antragstellung wurden vom Amtsgericht Hannover mit Datum vom 04.07.2019 antragsgemäß zum Az.: 428 C 7796/19 per Beschluss der Krankenkasse auferlegt, da diese die Unterlassungserklärung nach erhaltener Abmahnung verspätet abgegeben hatte und sich insoweit bereits bei Beantragung der einstweiligen Verfügung im Verzug mit einer ihr obliegenden Rechtspflicht befand, § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO.

Der Streitwert für die unzulässige Briefwerbung wurde durch das Amtsgericht Hannover mit Beschluss vom 04.07.2019 zum Az.: 428 C 7796/19 wie beantragt mit EUR 3.000,- festgesetzt, weil der Bundesgerichtshofs im Hinblick auf den Streitwert bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten in seinem Beschluss vom 17.11.2015 – II ZB 8/14 entschieden hatte, dass mangels genügender Anhaltspunkte für ein höheres oder geringeres Interesse in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG von dem sich aus dieser Vorschrift ergebenden Wert auszugehen ist, den der Gesetzgeber für eine durchschnittliche nichtvermögensrechtliche Streitigkeit mit EUR 5.000,- angesetzt hat. Wegen des Charakters einer Eilentscheidung als vorläufige Regelung wurde ein Abschlag auf EUR 3.000,- vorgenommen.

Mittwoch, 4. September 2019

Die Turboquerulantin in Hamburg

Als ich im August 2019 ein aktuelles Urteil des Amtsgerichts Hamburg gegen die Turboquerulantin in den Händen hielt, fiel mir gleich die vom Amtsgericht Nienburg in den Ordnungsgeldbeschlüssen Nr. 7, 8 und 9 zum Az.: 6 C 409/16 wiederholt bemühte Phrase ein, wonach unser Türbchen ihre "rechtsfeindliche Gesinnung offenkundig aufgegeben" habe. Tatsächlich kann von der Aufgabe ihrer Rechtsfeindlichkeit natürlich nicht die Rede sein, wenn man sich allein die Hamburger Akte ansieht, die im Jahre 2015 mit dem Verbot genau der Beleidigung durch eine einstweilige Verfügung beginnt, die im August 2019 schließlich im Klageverfahren ausgeurteilt wurde.

Zunächst war das Amtsgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 21.10.2015 zum Az.: 4 C 418/15 allerdings noch der Meinung, das als Betrüger beschimpfte Opfer müsse wegen der zusammenhangslosen Beleidigung genauere Angaben zum möglichen Hintergrund der rechtswidrigen Äußerung machen. Eine Fehlvorstellung, die das Landgericht Hamburg mit Beschluss vom 17.11.2015 zum Az.: 324 T 8/15 umgehend korrigierte. Natürlich muss das aus heiterem Himmel als Betrüger bezeichnete Opfer keine Zusammenhänge darlegen, wenn es einen Kontext zur rechtswidrigen Äußerung gerade nicht gibt.

Auch insgesamt sind die sechs bislang unveröffentlichten Entscheidungen aus der Hamburger Akte anschauliche Lehrstücke für die schulmäßige Behandlung eines Unterlassungsanspruchs, weil schon im Verfügungsverfahren die Verhängung eines Ordnungsgeldes durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 13.09.2016 genauso wenig fehlen durfte, wie die erfolglose Anfechtung dieser Ordnungsstrafe in Höhe von EUR 1.000,-, welche per Beschluss am 09.01.2017 vom Landgericht Hamburg zum Az.: 324 T 7/16 als angemessen bewertet wurde. Sogar das Oberlandesgericht Hamburg durfte mit der Turboquerulantin Bekanntschaft machen, weil der Streitwert im Eilverfahren zu niedrig angesetzt war und erst mit Beschluss vom 03.06.2016 zutreffend auf EUR 3.000,- festgesetzt wurde.

Folgerichtig setzte das Amtsgericht Hamburg im abschließenden Urteil des Hauptsacheverfahrens dann EUR 5.000,- als Streitwert fest und lag damit genau auf der Linie des Bundesgerichtshofs, der bereits mit Beschluss vom 17.11.2015 zum Az.: II ZB 8/14 darauf verwiesen hatte, dass der Gesetzgeber in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG für eine durchschnittliche nichtvermögensrechtliche Streitigkeit einen Gegenstandswert von EUR 5.000,- vorgegeben habe.

Festzuhalten bleibt nach zahlreichen Verfahren gegen die Turboquerulantin, dass eine Kleinkriminelle die Ziviljustiz nur deshalb so lange in Atem halten kann, weil sich die Strafjustiz einer angemessenen Lösung in der Vergangenheit stets verweigert hat und das Verständnis der Ziviljustiz für das deliktische Treiben einer Intensivtäterin bisweilen größer zu sein scheint, als jenes für ihre Kritiker, die sich öffentlich um Transparenz der zumindest in Niedersachsen längst aus dem Ruder gelaufenen Justizposse einsetzen.