Mittwoch, 18. November 2015

Der anwaltlich vertretene Schaumschläger

Relativ selten muss ich mich mit anwaltlich vertretenen Schaumschlägern befassen, die es wohl deshalb recht selten gibt, weil sie wenigstens ihrem eigenen Anwalt ein Mindestmaß an Vertrauen entgegenbringen und deswegen in der Regel Alleingänge unterlassen.

Ähnlich wie der nicht anwaltlich vertretene Schaumschläger ist dieser juristische Tiefflieger meist wirtschaftlich unterbelichtet, dafür aber oftmals von dem Gefühl beflügelt, Anwälten und Richtern tendenziell überlegen zu sein und jedenfalls für eine eventuelle Fehleinschätzung seiner Lage nicht zur Verantwortung gezogen werden zu können, weil er es gewohnt ist, sein auf Fehleinschätzungen basierendes Leben ohnehin durch die Masse derjenigen finanziert zu bekommen, die nicht an einer verzerrten Lebensperspektive leiden.

Vielfach verfügt der von juristischem Halbwissen geplagte Zeitgenosse über ein Konto auf Facebook, über welches er sich mit ähnlich Minderbemittelten austauscht, die sich wie er von Recht und Gesetz verraten fühlen und ihren Verfolgungswahn auf virtuelle Weise zum Lebensmittelpunkt empor heben. Seine juristischen Alleingänge sind häufig von der Annahme geprägt, die am Prozess beteiligten Volljuristen nach eigenem Dafürhalten in den allenfalls gefühlten Erkenntnisprozess einbeziehen zu können. Grundprinzipien der Juristerei kann der anwaltlich vertretene Schaumschläger höchstens dann ansatzweise nachvollziehen, wenn ihm diese zu Gute kommen würden.

Ein seltenes Exemplar dieser Gattung habe ich jüngst vor einem Amtsgericht zur Rechenschaft gezogen, welches mir in Abschrift eine artgerechte Verfügung an den Bevollmächtigten des Entrückten zukommen ließ. Offenbar wollte der anwaltlich vertretene Schaumschläger dem Gericht hinter dem Rücken seines Rechtsanwalts und dem des Klägers "wertvolle" Hinweise zukommen lassen:

"Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt, Das Gericht hat am 29.10.2015 ein Fax des Beklagten mit dem Hinweis erhalten, dass die Unterlagen nur für das Gericht seien. Das Gericht kann abgesehen von § 133 I S. 2 ZPO nur solchen Sachvortrag der Entscheidung zugrunde legen, zu denen die Gegenseite auch Stellung nehmen konnte. Insofern bittet das Gericht um Stellungnahme, ob und wenn ja, welche Unterlagen der Gegenseite zur Stellungnahme zugesendet werden können (diese Unterlagen benötigen wir dann auch noch in Abschrift von Ihnen). Auf Anordnung des Richters vom 12.11.2015."

Obwohl ich den verzweifelten Wunsch des Beklagten verstehen kann, den Prozess in aussichtsloser Lage noch mit dem Versuch der Umgehung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör drehen zu wollen, war die Idee auf diese Weise zum Erfolg zu kommen natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilt und zwar nicht deshalb, weil sich die gesamte Justiz gegen den bedauernswerten Mitmenschen verschworen hätte.

Montag, 16. November 2015

Fachanwalt für Verzögerungsrecht - Teil 4

Diesmal war es ein Dienstag und nicht in Hamburg, sondern in Rostock. Wieder ging ein Versäumnisurteil voraus, weil der Kollege beim ersten Termin nicht erschienen war und natürlich hat der Kollege wieder Einspruch eingelegt und diesen wieder nicht begründet. Ein Kla.ssi.ker. Natürlich war ich nicht davon überzeugt, dass der Termin in Rostock halten würde, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Deshalb schrieb ich sechs Tage vorher einen Bettelbrief an das Landgericht Rostock:  

"In Sachen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird darum gebeten, einem erwarteten Terminsverlegungsantrag des Gegners nicht zu entsprechen. Begründung: 1. Der Unterzeichner hat bereits um Verlegung eines kollidierenden Termins gebeten, um den in dieser Sache anberaumten Termin wahrnehmen zu können. 2. Der Prozessgegner hat bisher in allen Prozessen die Termine stets mehrfach und kurzfristig verlegen lassen. so auch bereits in dieser Sache. 3. Die mangelhafte Kanzleiorganisation der Gegenseite kann nicht stets zu Lasten derjenigen gehen, die sich um eine geordnete Rechtspflege bemühen und widerspricht im Ergebnis auch einer Prozessförderungspflicht."  

Am Tag vor dem Termin keimte dann sogar etwas wie Hoffnung bei mir auf, als der erwartete Verlegunsantrag gestellt wurde:

"In oben genannter Sache wird Terminsverlegungsatttrag gestellt. Aufgrund des Streiks bei der UFO sind die Flüge von München nach Rostock gestrichen worden. Eine anderweitige Anreise ist aufgrund der Entfernung nicht zumutbar und auch deswegen nicht möglich, weil der Unterfertigte am nächsten Tag in der Früh einen Gerichtstermin beim AG Starnberg wahrnehmen muss."

Denn die Antwort des Gerichts war eindeutig:

"Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt, der Terminsverlegungsantrag wird abgelehnt. Der geltend gemachte Verlegungsgrund erscheint nicht überzeugend, denn nach Auskunft des Flughafens Rostock-Laage finden weder am Montag noch am Dienstag Flüge von München nach Rostock statt. Der Termin findet erst um 12.00 Uhr statt. Eine Anreise mit anderen Verkehrsmitteln ist möglich und zumutbar. Ein wie hier gegebenes Verfahren der einstweiligen Verfügung hat als Eilverfahren Vorrang. Deshalb mag eine Verlegung des Termins vor dem AG Starnberg beantragt werden. Mit freundlichen Grüßen Vorsitzender Richter am Landgericht"

Die Spannung stieg, wie würde der Fachanwalt für Verzögerungsrecht diesmal seinen Kopf aus der Schlinge ziehen? Wie er es am Ende gemacht hat, weiss ich bis heute nicht, denn es erreichte uns kurz darauf nur ein knapper Anruf und später folgende Nachricht:

"Sehr geehrte Damen und Herren Rechtsanwälte, der Termin vom 10.11.2015, 12.00 Uhr, wurde aufgehoben. Sie brauchen daher zu diesem Termin nicht zu erscheinen. Mit freundlichen Grüßen Auf Anordnung Justizhauptsekretärin"

Was soll ich sagen? Auf seinem Gebiet ist er einfach der Größte, die Richter tanzen trotz Vorwarnung nach seiner Pfeiffe und von Fristen oder Terminen läßt sich der Kollege schon lange nicht mehr beeindrucken. Wir haben noch einiges zusammen vor und ich bin mir sicher, dass ihm jedenfalls im Verzögerungsrecht noch so manches Husarenstück gelingen wird.

Donnerstag, 12. November 2015

Der böse Wolfgang hat "Lawine" gesagt

Ein neues Mosaiksteinchen im sich abzeichnenden Meinungsäußerungsdiktat ist der gegenüber dem Bundesminister der Finanzen Wolfgang Schäuble geäußerte Vorwurf, er hätte die Flüchtlingskrise (ist Krise zu drastisch?) oder sagen wir besser die Flüchtlingswelle (ist eine Welle gefährlich?) nicht mit einer Lawine vergleichen dürfen. Denn: "Menschen in Not sind keine Naturkatastrophe" und "Niemand sollte Schwierigkeiten verschweigen oder schönreden, aber genauso sollte auch niemand mit seinen Worten Öl ins Feuer gießen", so Bundesjustizminister Heiko Maas.

Damit hat der böse Heiko im Zusammenhang mit der Flüchtlingskatastrophe (ist Katastrophe übertrieben?) das Wort "Feuer" genutzt. Eine verbale Auseinandersetzung über Menschen in Not ist aber kein Feuer. Hat auch Bundesjustizminister Heiko Maas mit der Verwendung der Metapher "Öl ins Feuer gießen" Öl ins Feuer gegossen? Es sind schwierige Zeiten für Meinungsäußerungen und da sollte man seine Meinung entweder gar nicht erst äußern oder aber ganz ganz vorsichtig sein. Denn eine falsche Meinung zu haben kann schwerwiegende Folgen nach sich ziehen.

"Ob wir schon in dem Stadium sind, wo die Lawine im Tal unten angekommen ist, oder ob wir in dem Stadium im oberen Ende des Hanges sind, weiß ich nicht", hatte Wolfgang Schäuble gesagt und dazu erläutert, dass Lawinen ausgelöst werden können, "wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer ein bisschen Schnee in Bewegung setzt". Was für eine unsägliche Hetze aus dem Munde eines deutschen Politikers.

Der Ressortleiter Politik im Hause des Meinungskontrollinstituts SPIEGEL ONLINE ordnet die schwere Verfehlung Schäubles dann auch folgerichtig als "Entgleisung" ein: "Wer schon einmal in den Alpen eine Lawine gesehen hat, weiß um deren zerstörerische Kraft. Lawinen wälzen alles nieder, Bäume, Häuser. Sie begraben Menschen unter sich, sie töten." Wer nun glaubt, der Journalist übertreibe in seiner Analyse und habe bei seiner Empörung ein Rad ab, sollte sich darüber im Klaren sein, dass Fahrzeuge mit fehlenden Rädern nicht zu kontrollieren sind und Menschen töten können. Das ist ein falsches, ein gefährliches Bild, denn eine derart vernichtende Kraft kann dem Journalisten sicher nicht unterstellt werden.

Dienstag, 10. November 2015

Fachanwalt für IT-Recht zeigt Facebook-Manager an

Für eine tolle Werbekampagne konnte der Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Chan-jo Jun aus Würzburg die Staatsanwaltschaft Hamburg und SPIEGEL ONLINE gewinnen. Nach den Strafanzeigen wegen des Verdachts auf Volksverhetzung gegen drei andere Manager des Facebook-Konzerns steht nun auch der "Managing Director Northern, Central and Eastern Europe" aus Hamburg im Focus der Ermittlungsbehörden, weil der Kanzleiinhaber mit Migrationshintergrund durch seine Strafanzeigen die Gegenwehr zu Gewalt und Hass bewerben will.

Es geht um die Verantwortung für die Verbreitung strafrechtlich relevanter Kommentare, die gegen das deutsche Recht verstoßen, aber trotz erfolgter Hinweise nicht von Facebook entfernt wurden. Eine begrüßenswerte Idee, die auch die Anwaltschaft nach zahllosen Negativschlagzeilen über unseriöse Abmahnanwälte aufatmen lässt. Denn der Kollege aus Würzburg hat nicht den eigenen Umsatz im Visier, sondern die Gerechtigkeit als Ganzes und wird ohne Auftrag tätig:

"Wir haben keinen Auftraggeber. Wir haben gesehen, dass trotz eindeutiger Rechtslage noch niemand eine fundierte Anzeige eingereicht hat. Als Anwälte haben wir einmal geschworen, das Grundgesetz zu verteidigen. Jetzt war es an der Zeit, das Versprechen einzulösen. Die Akte Facebook läuft pro bono. Wir verdienen daran nichts und nehmen auch keine neuen Mandate an. Wir haben in den letzten Jahren von unseren hohen Stundensätzen etwas Geld für schlechte Zeiten beiseite gelegt. Es gibt in diesen Tagen aber überall freiwillige Helfer, die noch viel mehr Zeit aufbringen. Wir schaffen das schon."

Eine noble Geste und einen merkelschen Optimismus, dessen Widerhall in der deutschen Rechtsanwaltschaft Beifall verdient. Nicht immer nur an die eigene Tasche denken, sondern auch ohne eigenen wirtschaftlichen Vorteil die Einhaltung gemeinschaftlicher Werte und Rechte einfordern. Eine Haltung, die man bei einem deutschen Anwalt nur gar zu selten findet!