Donnerstag, 30. März 2023

Sawsan Chebli und die Meinungsfreiheit

Immer wieder liest man in der Tagespresse etwas über die SPD-Politikerin Sawsan Chebli. Ihre Eltern lebten als palästinensische Flüchtlinge im Libanon und kamen 1970 als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland. Nach der Ablehnung ihrer Asylanträge lebten sie geduldet in West-Berlin, wo Frau Chebli als zwölftes von dreizehn Kindern geboren wurde. Ihr Vater wurde zwar dreimal in den Libanon abgeschoben, kehrte aber jeweils wieder nach Deutschland zurück. 1993 erhielt die Familie dann die deutsche Staatsangehörigkeit. Frau Chebli erlangte nach dem Abitur einen Abschluss in Politikwissenschaft und wurde 2014 die erste Sprecherin des Auswärtigen Amts ohne vorherige Diplomatentätigkeit. Ab 2016 war sie Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Berliner Senatskanzlei.

Bekannt wurde Frau Chebli durch ihre unglücklichen Auftritte in Pressekonferenzen und Rechtsstreitigkeiten um kritische Äußerungen in der Öffentlichkeit zu ihrer Person. Für die Veröffentlichung der Äußerung "Was spricht für Sawsan? (...) Befreundete Journalistinnen haben bislang nur den G-Punkt als Pluspunkt feststellen können in der Spezialdemokratischen Partei der alten Männer" erstritt sie im Dezember 2021 vor dem Landgericht Berlin vom Herausgeber des Magazins "Tichys Einblick" 10.000,- Euro Schmerzensgeld. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hatte dagegen den Publizisten Timm Kellner schon im Februar 2020 vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen, weil die Äußerungen "Quotenmigrantin der SPD" und "islamische Sprechpuppe" vom Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt seien. Die Äußerung "Quotenmigrantin der SPD" könne zwar als unverschämt oder kränkend empfunden werden, sei aber "unproblematisch zulässig". Die Bezeichnung "islamische Sprechpuppe" hätte die SPD-Politikerin zwar "hart getroffen", liege aber im Kontext des in Rede stehenden youtube-Videos noch im Rahmen des Zulässigen.

Aktuell hielt das Landgericht Heilbronn einen Kommentar auf Facebook über Frau Chebli mit den Worten "Selten so ein dämliches Stück Hirn-Vakuum in der Politik gesehen wie Sawsan Chebli" für eine von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckte Äußerung und wies eine Klage auf Schmerzensgeld ab. Nicht von der Meinungsfreiheit umfasst seien nur "Schmähkritik, Formalbeleidigung sowie Angriffe auf die Menschenwürde". Eine Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn sei nur dann gegeben, wenn eine Äußerung keinen nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung habe. Dieser Bezug sei aber im Falle des angegriffenen Postings auf Facebook gegeben. Die Klägerin Chebli äußerte sich entsetzt über die Entscheidung des Landgerichts. und befand, dass das Landgericht Heilbronn mit seiner Entscheidung ein falsches Signal setze. Wer allerdings den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Az.: - 1 BvR 2646/15 - liest und versteht, wird in der Regel erkennen, dass ein gerichtliches Äußerungsverbot die Ausnahme sein muss:

"Zu beachten ist hierbei indes, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist. Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten wird. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden.

Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassung wegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben."

Mittwoch, 8. März 2023

Internationaler Weltfrauentag 2023 - Das Urteil

Universität Göttingen

Pünktlich zum internationalen Weltfrauentag 2023 erreicht mich die Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshofs Nr. 046/2023, wonach heute, am 8. März 2023, mit Urteil zum Az.: 6 StR 378/22 die Verurteilung eines Hochschullehrers der Universität Göttingen, der als Doktorvater seine Doktorandin schwer misshandelt hatte, teilweise aufgehoben wurde. Der Professor war vom Landgericht Göttingen wegen mehrfacher gefährlicher Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung, mehrfacher Körperverletzung im Amt, teilweise in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Nötigung und teilweise in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, sowie wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt, nur zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten zur Bewährung verurteilt worden.

Der zuchtbesessene Hochschullehrer hatte seine Doktorandin in zehn Fällen zu Besprechungsterminen außerhalb der Dienstzeiten in sein Büro bestellt, schloss dieses jeweils ab und eröffnete ihr, dass er sie wegen angeblicher Verfehlungen durch Schläge mit einem "Bambusstock" auf das bekleidete Gesäß und auf ihre Waden sowie – bei späteren Taten – mit der flachen Hand auf ihr entblößtes Gesäß "bestrafen" wolle. Als die Doktorandin dies ablehnte, kündigte der Hochschullehrer jeweils an, die Zusammenarbeit mit ihr zu beenden und ihr Promotionsvorhaben nicht weiter zu betreuen. Aus Angst vor den ihr in Aussicht gestellten beruflichen wie – mit Blick auf ein Stipendium – finanziellen Folgen, "willigte" das Opfer in die Schläge durch den Professor in acht Fällen ein. In zwei weiteren Fällen kündigte der Hochschullehrer diese Folgen für den Fall ihrer Weigerung nicht ausdrücklich an, allerdings "willigte" die Doktorandin gleichwohl ein, weil ihr die von ihrem Professor zuvor benannten Konsequenzen "noch präsent" waren.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 30. März 2022 zum Az.: 1 KLs 11/19 jetzt wegen der rechtsfehlerhaften Ablehnung der Strafbarkeit des Hochschullehrers auch wegen Nötigung aufgehoben und an eine andere Kammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen, weil das Landgericht die letzten beiden Tathandlungen auch unter dem Gesichtspunkt einer konkludenten Drohung hätte würdigen müssen. Das Landgericht Göttingen hatte den strengen Doktorvater nur zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt, obwohl die Staatsanwaltschaft Göttingen ein Jahr und acht Monate wegen schwerer Nötigung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung gefordert hatte. Wegen der zu milden Strafe legte nicht nur die Doktorandin, sondern auch die Staatsanwaltschaft Revision beim BGH ein, mit dem Ziel, dass der verurteilte Professor nun eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr erhält, die dazu führen würde, dass der Professor seinen Beamtenstatus und seine Versorgungsbezüge verliert.