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Sonntag, 29. März 2020

Selbstmord

Der hesssische Finanzminister Dr. Thomas Schäfer hat am gestrigen Samstag Selbstmord begangen. Es handelte sich um einen sogenannten Schienensuizid auf den Bahngleisen der ICE-Strecke Köln-Frankfurt in der Gemarkung Hochheim/Massenheim. Schäfer war 54 Jahre alt, hatte auch Jura studiert und war Rechtsanwalt. Im Gegensatz zu meinem begrenzten beruflichen Wirken konnte er allerdings auf eine beeindruckende politische Karriere in der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) zurückblicken und war seit dem Jahre 2010 Finanzminister mit guter Aussicht, einmal hessischer Ministerpräsident zu werden.

Durch seinen Suizid lässt er eine Frau, zwei Kinder im Alter von 9 und 12 Jahren sowie ein Bundesland in einer der schwersten Krisen der Nachkriegszeit zurück, so dass die Frage gestellt wird, was ihn dazu getrieben hat, sich vor einen Eisenbahnzug zu werfen und wie ein solcher Selbstmord einzuordnen ist.

Im Mittelalter wurde die Selbsttötung noch als Verbrechen geahndet, weil der Selbstmörder in das Recht Gottes eingegriffen habe. Deshalb konnte ihm kein Begräbnis in geweihter Erde gewährt werden. Die christliche Kirche strafte den Selbstmörder, indem sie ihre Teilnahme durch Glockenläuten und Gesang am Begräbnis verweigerte. Der kirchliche Einfluss bestimmte auch den Begräbnisort. Die Kirche verwehrte ein Begräbnis in geweihter Erde, der weltliche Richter gebot das Verscharren unter dem Galgen oder ein Eselsbegräbnis. Als gefährliche Wiedergänger wurden Selbstmörder auch auf Kreuzwegen mit einem Pfahl durch den Leib vergraben.

Die "Wissenschaftliche-praktische Beurtheilung des Selbstmordes nach allen seinen Beziehungen als Lebensspiegel für unsere Zeit" von Ferdinand Friedrich Zyro aus dem Jahre 1837 kommt immerhin noch zu folgendem Schluss:

"Es sträubt sich aber nicht minder auch das menschliche, und noch viel mehr das christliche Gefühl und Bewußtsein dagegen; denn, wer sich mordet, hat an der Menschlichkeit selbst sich vergriffen, und seine Bestimmung als Mensch und Christ nicht erfüllt. Es ist ein Hohn der Menschlichkeit, der im Selbstmord liegt, freilich ein solcher, den wir nicht verdammen, nur bedauern können, aber immerhin ein Hohn. Der Selbstmörder zertritt seine Krone, die er empfangen aus der Hand des Schöpfers, und vernichtet empörerisch seinen Adelsbrief. Daher das Entsetzen, das durch nichts beseitigt werden kann - es ist ein horror naturalis. Ein feierliches Leichenbegräbnis steht mit diesem Entsetzen im Widerspruch, und kann nie erbaulich, immer nur niederschlagend, ja vernichtend sein. Wäre es dieses nicht, so läge eine mehr oder minder offene Billigung des Selbstmordes darin."

Selbstverständlich wird es aktuell trotz der Parteizugehörigkeit Schäfers kaum jemand wagen, Kritik am Suizid des verstorbenen Finanzministers zu äußern, insbesondere deshalb, weil er sich gegen die Vorwürfe eines Fehlverhaltens weder verteidigen noch Besserung geloben kann. Es muss allerdings erlaubt sein, jemanden als Fehlbesetzung in einem Ministeramt zu bezeichnen, der sich seiner politischen und menschlichen Verantwortung durch Selbsttötung gerade in dem Moment entzogen hat, als Kompetenz und ein hohes Durchhaltevermögen gefordert waren, um durch die professionelle Steuerung des Finanzministeriums der Wirtschaft und Bevölkerung Hessens ein Debakel zu ersparen. Nicht umsonst sagt ein Sprichwort: "Erst in der Krise beweist sich der Charakter."

Im politischen Leben macht es allerdings kaum Sinn, die unabänderliche Vergangenheit zu bewerten, da die Gegenwart Handlungen erfordert, welche die Gestaltung der zukünftigen Politik nicht behindern. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier würdigte Dr. Thomas Schäfer daher als einen Mann, der sich höchste Verdienste erworben habe und mit dem das Land eine herausragende Persönlichkeit verliere. Auch verneige er sich "in allerhöchstem Respekt und in tiefer Dankbarkeit."