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Freitag, 21. Januar 2011
Das Wunder im deutschen Prozessrecht - der Gewinn aussichtsloser Prozesse mit Hilfe einer sachverständigen Expertenkommission der katholischen Kirche
Anlässlich des Seligsprechungsprozesses von Papst Johannes Paul II. bin ich über die formalen Voraussetzungen für die Einleitung eines Seligsprechungsverfahrens gestolpert. Ich war begeistert, dass selbst dem Glauben an Gott formaljuristische Tentakel gewachsen sind und jemand, bevor er heilig werden kann, erst selig werden muss. Dass erinnert mich entfernt an das erste und zweite juristische Staatsexamen - das Zweite gibt´s nicht ohne das Erste. Erfolgreich selig werden kann man auch nur, wenn man unter den Gläubigen den „Ruf der Heiligkeit“ (fama sanctitatis) und den „Ruf der Wundertätigkeit“ (fama signorum) geniesst.
Der Ruf der Heiligkeit scheint mir zu konturlos, aber die zweite Voraussetzung liess mich aufhorchen. Tatsächlich setzt die Seligkeit nämlich auch die Herbeiführung ein Wunders voraus, also eines Ereignisses, welches menschlicher Vernunft und Erfahrung und den Gesetzlichkeiten von Natur und Geschichte widerspricht. Dieser Ansatz ist für einen Rechtsanwalt, der sich im Rahmen von Prozessen mit Beweisen herumschlägt und im vorläufigen Rechtsschutz bei einstweiligen Verfügungen gar nur Glaubhaftmachungen beibringt, eine spannende Sache. Wie wäre es denn, abseits überwiegenden oder mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeiten einmal das Wunder im deutschen Prozessrecht zu bemühen und deren Beweis Kirchenjuristen und sachverständigen Kommissionen der katholischen Kirche zu überlassen?
Anwendungsbereiche wären etwa der überwiesene aber nie angekommene Geldbetrag zur Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung, der ohne Fremdeinwirkung ausfallende Zahn kurz vor Auftreffen der geballten Faust, der in Richtung einer Polizeiformation fliegende unerklärliche Feuerball während der alljährlichen Maikrawalle, das ohne Anlass auslösende Geschwindigkeitsmessgerät und die im IT-Recht häufig verschwindenden E-Mails. Kurz gesagt: Sämtliche Abweichungen adäquat kausaler Handlungsabläufe kommen als Wunder in Betracht und könnten einen Prozess in aussichtsloser Position noch wenden.
Einen Rückschluss auf eine stattliche Anzahl von Wundern erlaubt der Blick in ein Heiligenlexikon; jeder dort zu findende Heilige dürfte für mehr als nur ein Wunder verantwortlich sein. Dass die Wunderpalette im normalen Leben tatsächlich einiges zu bieten hat, läßt sich ohne grosse Mühe herausfinden, denn erhellende Fragmente zu Heiligenanwärtern und auf ihnen beruhende Wunder sind leicht zu finden, wie z. B.
1. zu Clemens August Graf von Galen: "Die vatikanische Kongregation hatte einstimmig entschieden, dass der von der Diözese Münster geltend gemachte Heilungsvorgang an dem jungen indonesischen Schüler Henrikus Nahak im Jahr 1995 medizinisch unerklärlich und unter theologischen Gesichtspunkten als Wunder zu werten ist."
2. zu Eustachius Kugler: "Im Juni gibt die Expertenkommission, die sich mit dem Wunderprozess befasst, ein positives Urteil über das mutmaßliche Wunder ab, das dem Ehrwürdigen Eustachius Kugler zugeschrieben wird. Nach Überzeugung der Experten ist der schwere Verkehrsunfall mit Totalschaden des Kraftfahrzeugs, den der Betroffene ohne nennenswerte subjektive und objektive medizinische Konsequenzen erlitten hat, als ein außergewöhnlicher Vorfall anzusehen, der mit natürlichen Kriterien nicht erklärt werden kann."
3. zu Johannes Paul II.: "Bei dem Wunder geht es um die Heilung der französischen Ordensfrau Marie Simon-Pierre, die an Parkinson litt. Sie wurde plötzlich von der Krankheit befreit, nachdem Johannes Paul II. in den Monaten nach seinem Tod in Gebeten um Hilfe angefleht worden war. Nachdem sie am Abend zuvor zu Johannes Paul gebetet und ihn um Heilung gebeten habe, sei sie am Morgen des 3. Juni 2005 mit dem Gefühl aufgewacht, neu geboren zu sein, sagte die 49-jährige Marie Simon-Pierre".
Es gibt natürlich noch mehr derartige Beispiele und damit ist es doch wohl auch für bodenständige Gerichte und Rechtsanwälte an der Zeit, sich von der eindimensionalen Sicht überwiegender Wahrscheinlichkeiten abzuwenden und im deutschen Prozessrecht mit etwas Phantasie auch das Wunder in den Kreis der sich bietenden Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten einzubeziehen. Im Zweifel könnte der notwendige Beweis mit Hilfe einer Expertenkommission der vatikanischen Kongregation gelingen.
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