Mittwoch, 2. Juni 2010

Wiederbelebung des "deutschen Adels" in Wikipedia - Online-Enzyklopädie als Speerspitze gegen die Verfassung?

Ein entlarvendes Zitat aus einem sehr zu empfehlenden SPIEGEL-Artikel aus dem Jahre 1999 mit dem Titel "Aristokratischer Feinsinn" habe ich noch im Hinterkopf: "Es wird nichts unversucht gelassen, um die Exklusivität ehemaliger Adelsprädikate zu erhalten, auszubauen und zu steigern. Rücksichtslos werden dabei verfassungsrechtliche Grundsätze übergangen. Nicht ohne Hintergedanken. Bei einer eventuellen Änderung der Staatsform sollen die alten Machtstrukturen sofort wieder erkennbar sein."

Die Presse, von der Bunten über den Spiegel bis hin zur Faz, Welt oder Bild, machen bis heute brav mit. Entweder aus Dummheit oder um das niedere Bedürfnis ihrer Leser nach Glamour zu befriedigen. Gloria Prinzessin von Thurn und Taxis wird in der Presse fast ausnahmslos als Fürstin Gloria von Thurn und Taxis bezeichnet, Alexander Prinz zu Schaumburg-Lippe regiert fast durchgängig als Fürst Alexander zu Schaumburg-Lippe und Ernst August Prinz von Hannover geistert nahezu ohne Widerspruch als Prinz Ernst August durch die Medienlandschaft.

Niemand interessiert sich für die deutlichen Worte der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, geäußert im Beschluss - 1 BvR 2248/01 - vom 22. März 2004: "Mit In-Kraft-Treten der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 (RGBl S. 1383) und der Verfassung Preußens vom 30. November 1920 (Preußische Gesetzsammlung, S. 543) wurde jeweils die republikanische Staatsform eingeführt. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 wurde aufgehoben (Art. 178 Abs. 1 WRV). Art. 81 Abs. 1 der preußischen Verfassung hob die Verfassung vom 31. Januar 1850 auf. Damit wurden gleichzeitig die Hausgesetze des ehemals regierenden Kaiser- und Königshauses in staatsrechtlicher Hinsicht gegenstandslos. Seit dem In-Kraft-Treten des Grundgesetzes steht der Wiedereinführung der Monarchie Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG entgegen."

Nach Art. 109 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung waren öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile einer Geburt oder des Standes aufzuheben. In Ausführung dieser verfassungsmäßigen Anweisung ist unter dem 30. April 1928 u.a. das schaumburg-lippische Gesetz über die Aufhebung des Standesvorrechts des Adels und die Auflösung des Hausvermögens erlassen worden, welches im wesentlichen mit dem preussischen Adelsgesetz vom 23. Juni 1920 übereinstimmte.

In Kürze: Deutschen Hochadel gibt es nicht mehr. Deutschen Adel gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch Staatsbürger. Es gilt das Grundgesetz und bürgerliches Recht. Ehemalige Adelsprädikate sind nur noch Bestandteile des bürgerlichen Nachnamens.

Dennoch: "Bei der Prüfung von Problemen mit adelsrechtlichen Fragestellungen stellen Adelsverbände den Behörden und Gerichten kostenlos Gutachter zur Verfügung - offenbar so überzeugend, dass selbst viele Richter und Standesbeamte vergessen, dass es den Adel nicht mehr gibt." (Aristokratischer Feinsinn, SPIEGEL-online, 10. Mai 1999).

Der Kampf des Pseudoadels um seinen illegalen Fortbestand hat sich nun offenbar schwerpunktmäßig auf das Internet - insbesondere auf Wikipedia - verlagert. Ein wackerer Streiter um die Richtigkeit und Glaubwürdigkeit der Online-Enzyklopädie resigniert dann auch im Rahmen einer internen Diskussion um die Darstellung des Pseudoadels auf Wikipedia:

"Ich sehe diese Diskussion eben erst und bin erschüttert ob der Hartnäckigkeit, mit der hier wider besseres Wissen Informationen verfälscht werden. Ich habe es ebenfalls aufgegeben, gegen die aberwitzige Wiederbelebung eines "deutschen Adels" in Wikipedia vorzugehen, es hat keinen Sinn und wäre angesichts von mittlerweile abertausenden fehlerhaften Artikeln aus dem Dunstkreis des angeblichen deutschen Adels eine unstemmbare Sisyphusarbeit. So ist dann eben ein weiterer Bereich von Wikipedia in den qualitativen Niederungen des Hören-Sagens angekommen. Schade drum."


Wegen der Veröffentlichung historischer Dokumente im Streit um die Domain "schaumburg-lippe.de" auf meiner Website unter der Rubrik "Presse", bekam ich seinerzeit Post vom Niedersächsischen Landesarchiv - Staatsarchiv Bückeburg. Ohne jemals das Staatsarchiv genutzt oder von dort Dokumente bezogen zu haben, sollte ich für die halbjährliche Veröffentlichung von sechs Dokumenten - angeblich aus dem Bestand des Staatsarchivs - EUR 900,- bezahlen.

Nun muss man wissen, dass das Staatsarchiv Bückeburg als Untermieter im Schloss Bückeburg zu finden war, die streitgegenständlichen Dokumente angeblich von dort stammten und der "Schlossherr" vermutlich wenig angetan war, Dokumente aus dem Jahre 1938 im Internet veröffentlicht zu sehen, welche zu folgender Schlussfolgerung kamen:

"Damit steht fest, dass der Name "Fürst zu Schaumburg-Lippe" erloschen ist und das auch in Zukunft niemals mehr eine Person zur Führung dieses Namens berechtigt sein wird. Trotzdem fährt das Haus fort, sich als "Fürstliches Haus Schaumburg-Lippe" und seine Einrichtungen als "Fürstliche" zu bezeichnen."
Schon ein zartes Stöbern im Internet, etwa unter der Domain "schloss-bueckeburg.de", offenbart, dass sich an der vor über 70 Jahren bemängelten Grundhaltung gewisser gesellschaftlicher Kreise bis heute wenig geändert hat.

Und wer unter "Wikipedia" in die Tiefe geht, wird dort feststellen müssen, dass der "Adel" trotz seiner unzweifelhaften Abschaffung schon seit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung noch im Jahre 2010 mit Erfolg sein Fortbestehen feiert.

Übrigens war sich das Amtsgericht Hannover seinerzeit nicht zu schade, die Kostenkeule gegen die Veröffentlichung der ungeliebten Korrespondenz aus den 30er Jahren in Form eines Urteils zu schwingen und mich zum Schadensersatz in voller Höhe zu verurteilen.

Dass der gesamte historische Schrifwechsel bis heute noch einsehbar ist (1, 2, 3, 4, 5, 6) haben wir der Courage der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover zu verdanken, deren Berufungsurteil zu meinen Gunsten den verlorenen Glauben in die Unabhängkeit der Justiz wieder gestärkt hat. Eine anschließend noch angestrengte Gehörsrüge durch die Niedersächsische Staatskanzlei war letztlich auch erfolglos. Zurück bleibt jedenfalls das Gefühl, dass man den Pseudoadel und dessen weitreichenden Einfluss nicht unterschätzen sollte.

Die jüngste Aufgabe tapferer Wikipedianer in einem ungleichen Kampf erinnerte mich nunmehr an meine eigenen Erfahrungen und dem geneigten wie juristisch geschultem Leser sei empfohlen, den erfolgreichen Feldzug der Ewiggestrigen im Kampf um den Erhalt ihrer verlorengeglaubten Privilegien in der Tagespresse wissend und aufmerksam zu verfolgen.

9 Kommentare:

  1. Danke für diesen guten post.Ich begrüße Ihre Anstrengungen in dieser Richtung sehr.Leider kannte ich diese Dokumente bisher nicht,wußte aber aus DDR-Zeiten, das der Adel enteignet wurde.Das er heute wieder so hoffiert wird ist mir ein Greuel.

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  2. Danke auch von mir. Seit Jahren sehe ich dem dummen Treiben der Medien fassungslos zu.

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  3. Zur allgemeinen INFO von "u.w.richard@gmx.de"
    Mein Kritikpunkt an die ARD war: :"..Deutscher Hochadel ist ebenfalls zugegen: Leopold Prinz von Bayern ist unter den blaublütigen Gästen.."
    ARD-Rückantwort:

    Sehr geehrter Herr XYZ,

    vielen Dank für Ihre e-mail und Ihr Interesse am Ersten Deutschen Fernsehen.

    Wir bedauern Ihre Kritik an der Berichterstattung des Ersten über die Fürstenhochzeit in Monaco am vergangenen Wochenende.

    Zwar haben die Mitglieder des deutschen Hochadels mit der Weimarer Verfassung 1919 ihre standesrechtlichen Privilegien verloren und alle Bürgerinnen und Bürger wurden rechtlich gleich gestellt. Dennoch hat der Begriff „Adel“ als eine Art Genrebezeichnung bis heute seine Berechtigung, weil er der Beschreibung einer bestimmten Personengruppe dient. Wir bitten daher um Verständnis, dass der Begriff in der Berichterstattung über die Fürstenhochzeit zum Einsatz kam.

    Mit freundlichen Grüßen

    Petra Putz

    Erstes Deutsches Fernsehen
    Programmdirektion
    Zuschauerredaktion Das Erste
    Postfach 200665
    80006 München
    Tel +49 89 5900 3344
    Fax +49 89 5900 4070
    E-Mail: Info@DasErste.de
    www.DasErste.de

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    1. Der Adel ist nichts anderes wie eine "Bürgerlich angepasste Gemeinschaft" der sogenannte Adelsrechtsausschuß ist ein Verein , so wie ein Schrebergarten oder Kegelverein nichts anderes.

      Adelstitel existieren nicht , sind nunmehr Namensbestandteile ,nur weil Graf von ,oder Baron von oder zu nach dem Vornamen steht, sind diese keine Grafen oder Barone , so wie Herr Bäcker kein Bäcker ist.
      Wer den Adel wieder hochleben lässt begeht eine Straftat
      " Verfassungswidrigkeit ".
      Manche TV Sender wandeln da auf ganz dünnem Eis, in dem man dem Zuschauer suggeriert es gebe den wahren Adel noch in Deutschland!!!

      Gruß

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  4. Wenn es den "wahren Adel" noch gäbe, dann bestimmt nicht in Gestalt des durchgeknallten Hartz IV-Empfängers Alfred Boecker, der ernstlich zu glauben scheint, er sei zum "Comte de Montfort" erhoben worden.

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  5. Wer lesen kann ist klar im Vorteil
    http://marjorie-wiki.de/wiki/Montfort_l'Amaury_(_Comte_de_Montfort_)

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  6. Herr Möbius argumentiert und zitiert seinem Beruf gemäß sehr einseitig und hat dabei wohl (extra ?) die intensive Diskuson und Einigung in der deutschen Wikipedia zum Thema "Adel" übersehen: https://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Adel#Anwendung_des_Begriffs_.E2.80.9EAdel.E2.80.9C_auf_Personen_nach_1919

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  7. Auch hier beweist Herr Möbius seine Unkenntnisse des Rechts bzw. in diesem Zusammenhang, wenn man will, der Rechtsgeschichte.

    Der Artikel 109 der Weimarer Verfassung, spricht nicht von einer Abschaffung des Adels, sondern einfach nur von der Abschaffung der besonderen Vorrechte des Standes, die ja bekanntlich politisch waren, und dass der Adel den anderen Bürgern eben rechtlich gleichgestellt wurde. Dies allein schon zeigt bei der Wortwahl des Verfassungstextes, das der bis 1919 bestehende Adel weiterbestehen sollte, wobei ausdrücklich verboten wurde, dass neuer Adel nicht mehr geschaffen werden kann und dass der Adelsname versteinert wird.
    Diese Tatsache wird weiter bestätig, insofern als in der verfassungsgebenden Versammlung vom 15.Juli 1919 eine weitergehende Formulierung „der Adel ist abgeschafft“ nach ausführlicher Diskussion mehrheitlich abgelehnt wurde.
    Somit besteht das, was vor der Weimarer Verfassung als Adel existierte weiter und ist eine soziale Gruppe, die auch solche wie andere solche Gruppen gesetzlich geschützt ist.
    Wenn solche adelige Personen in der Presse erscheinen und evtl. sogar im Widerspruch zum Namensgesetz als Prinz L.v.B. bezeichnet werden, dann stellt das keinen Eingriff in das Namensrecht ein. Dagegen würde dies aber einen Verstoss gegen das Namensgesetz darstellen, wenn solcher Name in öffentliche Dokumente eingetragen werden.
    https://openjur.de/u/830325.html
    Das interessante in dem Text von Herrn Möbius ist aber dass er sich widerspricht, und nachweislich gegen Grundgesetz und Namensrecht verstossend, Mandanten mit adeligen Phantasienamen oder sogar mit usurpierten adeligen Namen vertrat und bei beantragter Rubrumsänderung, dies mit nachweislich falschen Dokumenten verhinderte, wobei dies selbst mit echten Dokumenten einen Verstoss gegen GG und Namensrecht darstellt, wie aus obigen Gerichtsentschluss ersehen werden kann.

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