Donnerstag, 14. August 2014

Brief an die Chefin

Sie sind Freiberufler, lieben Ihre Arbeit, zahlen gewerbliche Mietkosten in nicht unbedeutender Höhe, Telefonkosten, private Pflege- und Krankenversicherung, Altersvorsorge, Kammerbeiträge, Fortbildungskosten, Berufshaftpflichtversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Steuer- und Rechtsberatungskosten, Sozialversicherungsbeiträge, Arbeitslosenversicherung und haben überdies noch ein Geschäftsfahrzeug? Sie pflegen sich mit Ihren zehn Mitarbeitern zu duzen und Ihre seit 25 Jahren bestehende Praxis wirft genug ab, um sich auch Urlaubsreisen leisten zu können? Dann könnte Ihnen Ihr Praxisteam - mit einem ähnlichen, nur in Auszügen wiedergegebenen Brief - seine Auffassung des Gleichgewichts zwischen unternehmerischem Risiko und abhängiger Beschäftigung wie folgt mitteilen:

Unterm Strich aber hast Du vor allem Eines - Eine gut laufende Praxis mit tollen Mitarbeiter/innen, die sich gegenseitig unterstützen und jeden Tag das Beste geben. Schon seit längerer Zeit herrscht jedoch ein Ungleichgewicht: Es gibt Dinge, die das Klima in der Praxis empfindlich stören. Um mit Dir in einen konstruktiven Dialog zu treten und Lösungen zu finden, suchen wir deshalb das Gespräch mit Dir. Das funktioniert, unserer Meinung nach am besten im Rahmen einer kollektiven Betriebsversammlung. Nicht jeder hat die Möglichkeit sich ein Auto (BMW), ein Haus und Urlaube mit einem Mietwagen zu leisten. Was leistest Du dir sonst noch? Wir wissen es nicht, möchten Transparenz. Wir können uns keinen Puffer zurücklegen, vor allem nicht im Rahmen der schmalen Vergütung, die, das muss fairerweise gesagt werden, leider in unserer Branche üblich ist. Und Du zahlst ja eigentlich auch übertariflich.

Es geht allerdings viel tiefer als das. Es geht um Ambivalenz!! Warum zum Beispiel werden sich neue Trainingsgeräte, Elektrogeräte, Heißluftlampen neue Praxiskleidung für neue Mitarbeiter und Renovierungsarbeiten geleistet, wenn aber kein Geld für Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld oder sogar eine weitere Gehaltserhöhung möglich ist? Oder einen Bonus? Du willst ein exzellentes Arbeitsklima, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Vertrauen. Das geht nur auf gleicher Augenhöhe. Möchtest du dir jetzt die Arbeitnehmer-Ausbeuter-Mentalität zu eigen machen? Verseucht durch den vorherrschenden Kapitalismus!?! Durch Betrügereien? Du verlangst Ehrlichkeit und Du?

Lieber Freiberufler, wie unverschämt sind übertarifliche Zahlungen ohne gleichzeitig die eigenen Vermögensverhältnisse offen zu legen? Wie kann man so dekadent sein, in eine moderne Praxisausstattung zu investieren ohne gleichzeitig den übertariflich gezahlten Lohn weiter zu erhöhen? Warum muss es ein BMW sein, wenn ein Dacia die Möglichkeit einer Bonuszahlung an die Mitarbeiter eröffnet hätte? Weshalb sollten die Mitarbeiter ehrlich und zuverlässig sein, wenn die Betriebsgewinne nicht auf Augenhöhe geteilt werden? Ein mir derzeit zur Ausbildung zugewiesener Rechtsreferendar beantwortet die sich aus dem Schreiben an eine Mandantin ergebenden Fragen etwas unjuristisch, dafür aber recht prägnant, wie folgt: "Wer zu nett ist, wird gefickt".

4 Kommentare:

  1. "Warum muss es ein BMW sein, wenn ein Dacia die Möglichkeit einer Bonuszahlung an die Mitarbeiter eröffnet hätte? "
    Diesen Satz kann ich so wie er da steht unterschreiben!
    Egal wo, ob es der Chef ist oder unsere Politiker.
    Diese Menschen sollen sich nicht für etwas besseres halten und auf die Kosten von anderen im Luxus leben!
    Wirklich: Armes Deutschland, durch Parteien wie Schwarz und Gelb wird der Spalt zwischen Armut und Reichtum immer größer! Frei nach dem Motto "Es lebe die Zeitarbeit und Klassengeselschaft"

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    1. Man könnte natürlich auch danach fragen, ob demjenigen, der seine Mitarbeiter über dem Tarif bezahlt, nicht auch ein über dem Durchschnitt liegendes Auto zu gönnen ist.

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  2. Ich hab mal bei einer größeren Steuerberatungsgesellschaft im Ruhrgebiet gearbeitet. Meine Kollegen und ich haben für mehrere Ärzte verschiedener Fachrichtungen die (Lohn-)Buchhaltung, Jahresabschlüsse und die Steuererklärungen angefertigt.
    Ich selbst zählte eine HNO-Gemeinschaftspraxis mit 2 Ärzten in einer großen Ruhrgebietsstadt zu meinen Mandanten.
    Beide hatten jeweils ein zu versteuerndes Einkommen von jeweils ca. 300 T€ bis 400 T€ pro Jahr, d.h. nach Abzug ALLER Kosten, aber vor Steuern.
    Wenn ich dann aber immer gesehen habe, dass die Mitarbeiterinnen irgendwas zwischen 1.700 und 2.100 brutto in Vollzeit bekommen haben, wurd mir immer ganz schlecht.
    Ich kann Mitarbeiter dann verstehen, wenn man selber irgendwie mehr schlecht als recht über die Runden kommt und sich dann in der Praxis aber anhören darf, dass die Tochter vom Chef gerade ein zweites Pferd bekommen hat oder Chef jetzt anfängt Oldtimer zu sammeln.

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  3. Mich würde der Originalbrief interessieren, denn manchmal liest man zwischen den Zeilen nicht richtig und gibt es dann falsch wieder! Ein Gespräch ist aber, so wie mir scheint, dringend nötig.
    Freue mich für den jungen Referendar, er kann ja hier noch viel lernen.

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