Donnerstag, 28. Mai 2015

Piss-Mannschaft

Schon vor über 15 Jahren sorgte das Lied  der Toten Hosen "Bayern", dessen Message lautete: "Ich würde nie zum FC Bayern München gehen. Was für Eltern muss man haben, um so verdorben zu sein, einen Vertrag zu unterschreiben, bei diesem Scheißverein?" für Furore. Uli Hoeneß war schon damals außer sich: "Das ist der Dreck, an dem unsere Gesellschaft mal ersticken wird". Später wäre unser Uli fast selbst erstickt, aber eher, weil er den Hals nicht voll genug kriegen konnte. Jetzt machte Dieter Schatzschneider, dessen erfolgreiche Fußballzeit bei Hannover 96 Ewigkeiten zurückliegt, ähnliche Schlagzeilen. „Bayern ist eine Piss-Mannschaft", so äußerte er sich gegenüber der bekanntesten Boulevardzeitung Deutschlands, die mit Sicherheit auch die Häftlinge Deutschlands erreicht. Dass unter Fußballern das Sprichwort „erst denken, dann reden“ keine Gültigkeit besitzt, ist ja allseits bekannt. Doch welche juristischen Konsequenzen haben solche Äußerungen, muss sich Schatzschneider abducken?

Der Beleidigungstatbestand gemäß § 185 StGB erfordert die Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung in Form einer Äußerung  mit ehrverletzendem Charakter. Betroffen sein kann der sittliche, personale oder soziale Geltungswert einer Person. Wird dieser durch das Zuschreiben negativer Qualitäten ganz oder teilweise abgesprochen, kann eine ehrverletzende Äußerung vorliegen (BGH v. 15. 3. 1989 – 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145 ff. = NJW 1989, 3028 f.). Auch Kollektivbeleidigungen und Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung sind in der Rechtsprechung anerkannt.

Die herrschende Meinung bejaht die Möglichkeit der Beleidigung von Personengemeinschaften, indem sie sich auf die Regelungen des § 194 III, IV StGB stützt. Diese Vorschrift zeigt, dass zumindest Behörden und politische Körperschaften beleidigungsfähig sein müssen, denn andernfalls wäre die Regelung bezüglich des Strafantrags sinnlos. Eine Kollektivbeleidigung, also eine Beleidigung, die sich gegen die Personengesamtheit der FC-Bayern-Fußballmannschaft richtet, kommt dann in Betracht, wenn die FC-Bayern-Fußballmannschaft als Personengemeinschaft selbstständig beleidigungsfähig ist.

Der Gedanke, dass durch die Vorschrift des § 194 III, IV StGB Ämtern und anderen Stellen öffentlicher Verwaltung die Beleidigungsfähigkeit zuerkannt wird,  wird generell auf Personengesamtheiten unter der Voraussetzung übertragen, dass sie eine rechtlich anerkannte soziale Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können. Im vorliegenden Fall ist die Ehre des Kollektivs selbst maßgeblich und nicht etwa die von Einzelpersonen. Es dürfte eher abzulehnen sein, dass die Fußballmannschaft des FC Bayern eine rechtlich anerkannte soziale Funktion erfüllt, da die Mannschaftsmitglieder mit ihrer Tätigkeit zunächst eigenen wirtschaftlichen Interessen nachgehen. Ob die Fußballmannschaft eine rechtlich anerkannte soziale Funktion hat, kann aber im Ergebnis auch offen bleiben, wenn die einzelnen Fußballmannschaftsmitglieder jedenfalls unter der Kollektivbezeichnung beleidigt wurden.

Eine Mehrheit von Personen, welche durch einen Kollektivnamen bezeichnet wird, kann beleidigt werden, wenn der Beleidiger diesen Kollektivnamen mit dem Vorsatz auswählt, sämtliche Personen zu treffen, welche unter den Kollektivbegriff fallen. Die Verurteilung wegen Beleidung unter einer Kollektivbezeichnung  setzt aber voraus, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht, da ansonsten der Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht gerechtfertigt erscheint. Herabwürdigende Äußerungen in Bezug auf eine Mannschaft beinhalten in der Regel eine Beleidigung der einzelnen Mannschaftsmitglieder unter einer Kollektivbezeichnung. Unter einer Fußballmannschaft versteht man eine Mannschaft, die den Fußballsport ausübt. Eine Fußballmannschaft besteht auf dem Platz aus einem Torwart und zehn Feldspielern (elf Spieler insgesamt).

Durch Auslegung ist der objektive Sinngehalt der Äußerung zu ermitteln. Maßgebend dafür ist, wie ein verständiger Dritter unter Beachtung der Begleitumstände und des Gesamtzusammenhangs sie versteht (BVerfG v. 25. 3. 2008 – 1 BvR 1753/03, NJW 2008, 2907 (2908); BGH v. 18. 2. 1964 – 1 StR 572/63, BGHSt 19, 235 (237) = NJW 1964, 1148 f.). Die Begleitumstände werden charakterisiert durch die Anschauungen der beteiligten Kreise, die örtlichen und zeitlichen Verhältnisse sowie die sprachliche und gesellschaftliche Ebene (OLG Düsseldorf v. 4. 3. 1998 – 5 Ss 47/98–25/98 II, NJW 1998, 3214 (3215)). Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs bezog sich die Aussage des Dieter Schatzschneider auf die Einstellung der FC-Bayern-Fußballspieler im letzten Spiel gegen den SC Freiburg.  Aus dieser Auslegung ergeben sich die Spieler des FC Bayern, die an diesem Tag auf dem Platz standen, sodass der betroffene Personenkreis klar abgrenzbar und zahlenmäßig überschaubar ist.

Allerdings lässt sich bei herabsetzenden Äußerungen unter einer Sammelbezeichnung die Grenze zwischen einem Angriff auf die persönliche Ehre, die Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG schützt und die nach Art. 5 II GG Beschränkungen der Meinungsfreiheit rechtfertigt, und einer Kritik an sozialen Phänomenen, staatlichen oder gesellschaftlichen Einrichtungen oder sozialen Rollen und Rollenerwartungen, für die Art. 5 I S. 1 GG gerade einen Freiraum gewährleisten will, nicht scharf ziehen. Einer Bestrafung wegen derartiger Äußerungen wohnt deswegen stets die Gefahr überschießender Beschränkungen der Meinungsfreiheit inne. Verschiedene ausländische Rechtsordnungen, namentlich des angelsächsischen Rechtskreises, kennen daher die Sammelbeleidigung gar nicht und bestrafen nur die ausdrücklich oder erkennbar auf einzelne bezogene Ehrverletzung (vgl. etwa Robertson/Nicol, Media Law, 3. Aufl. (1992), S. 57).
Die gefestigte Rechtsprechung wägt in diesen Fällen zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und der Meinungsfreiheit des Äußernden ab, wenn nicht allein die Schmähung des Betroffenen im Vordergrund steht (BVerfG v. 28. 8. 2005 – 1 BvR 1917/04, NJW 2005, 3274; BVerfG v. 5. 12. 2008 – 1 BvR 1318/07, NJW 2009, 749 f. (Rn 12)). Bei der Schmähkritik steht nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund (BVerfG v. 29. 7. 2003 – 1 BvR 2145/02, NJW 2003, 3760; BVerfG v. 5. 12. 2008 – 1 BvR 1318/07, NJW 2009, 749 (750, Rn 12); BVerfG. v. 7. 12. 2011 – 1BvR 2678/10, BeckRS 2012, 46347, Rn 40). Merkmal der Schmähung ist also die das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung.

Solange eine Äußerung nicht jeder sachlichen Grundlage entbehrt und nicht überwiegend böswillig sowie gehässig ist, liegt keine Schmähkritik vor (OLG Nürnberg v. 14. 10. 2009 – 1 St OLG Ss 41/09, OLGSt 6/2010 § 185 Nr. 31 = Juris oder BeckRS 2010, 01748). Wegen des Verdrängungseffekts gegenüber der Meinungsfreiheit ist der Begriff der Schmähung eng auszulegen (BVerfG v. 29. 7. 2003 – 1 BvR 2145/02, NJW 2003, 3760). Die in Art. 5 GG verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet (vgl. zuletzt BVerfGE 90, 241 (247ff.) = NJW 1994, 1779 = NVwZ 1994, 892 L).

Bei der Aussage „Bayern ist eine Piss-Mannschaft“ handelt es sich um eine Meinung, weil sie eine persönliche Stellungnahme darstellt. Der Grundrechtsschutz besteht unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird (vgl. BVerfGE 30, 336 (347) = NJW 1971, 1555; BVerfGE33, 1 (14) = NJW 1972, 811; BVerfGE 61, 1 (7) = NJW 1983, 1415). Nach Art. 5 II GG findet das Grundrecht seine Schranken an den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu gehört auch § 185 StGB. Um eine Beleidigung annehmen zu können, muss die Norm in verfassungsmäßiger Weise ausgelegt und angewandt werden (vgl.BVerfGE 7, 198 (208f.) = NJW 1958, 257; st. Rspr.).

In der Aussage „Bayern ist eine Piss-Mannschaft“ wird deshalb keine Schmähkritik zu sehen sein. Zum einen ist der Begriff „Schmähkritik“ wegen der Meinungsfreiheit, die schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Ordnung ist (vgl. BVerfGE 7, 198 (208) = NJW 1958, 257), eng auszulegen, zum anderen geht mit der Aussage keine überwiegende Böswilligkeit oder Gehässigkeit einher. Der erforderliche sachliche Bezug zu dem letzten Bundesligaspiel ergibt sich mittels Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang und den Begleitumständen. Auch liegt Schmähkritik bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt (BVerfG v. 7. 12. 2011 – 1 BvR 2678/10, BeckRS 2012, 46347, Rn 40).

Die Aussage stammt aus dem Zusammenhang mit der Niederlage des Deutschen Meisters FC Bayern gegen den SC Freiburg auf dem letzten Nichtabstiegsplatz (vor Hannover 96), was zumindest im fußballbegeisterten Deutschland zu den die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen gehört.
Die Äußerung lässt sich weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, sodass es für die Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt.

Anders als bei Tatsachenbehauptungen ist es unerheblich, ob die Kritik berechtigt oder das Werturteil "richtig" ist (vgl. BVerfGE 66, 116 (151); BVerfGE 68, 226 (232)). Eine Äußerung, die lediglich unhöflich oder taktlos ist, begründet grundsätzlich noch keine Ehrverletzung (LG Regensburg v. 6. 10. 2005 – 3 Ns 134 Js 97458/04, NJW 2006, 629). Es ist auch nicht jede flapsige, spöttische Bemerkung schon als  Beleidigung anzusehen (AG Berlin-Tiergarten v. 26. 5. 2008 – (412 Ds) 2 JuJs 186-08 (74/08), NJW 2008, 3233). Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist und ihre Grundlage im Verhalten des Betroffenen hat, wie es hier der Fall ist, entzieht sie nicht schon dem Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 54, 129 (138f.) = NJW 1980, 2069; BVerfGE 61, 1 (7f.) = NJW 1983, 1415).

Erschwerend ins Gewicht fällt, ob von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen oder im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird. Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, so spricht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede (BVerfGE 7, 198 (208, 212) = NJW 1958, 257; BVerfGE 61, 1 (11) = NJW 1983, 1415); BVerfGE 93, 266 (294); BVerfGE 93, 266 (295)). Abweichungen davon bedürfen folglich einer Begründung, die der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie, in der die Vermutungsregel wurzelt, Rechnung trägt.

Das von der Aussage betroffene Bundesligaspiel gehört zu den die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen. Bundesligaspieler bewegen sich bewusst in der Öffentlichkeit, sodass sie als diejenigen, die die Öffentlichkeit suchen, deren Meinung auch ertragen müssen, selbst wenn es mal nicht Lob regnet. Dies gilt auch und erst Recht für die erfolgsverwöhnten FC-Bayern-Spieler als
„Piss-Mannschaft“.

4 Kommentare:

  1. Man muss die Bayern nicht beleidigen. Es reicht doch einfach sie als Bayern zu bezeichnen und ab und zu die Worte Steuerhinterziehung, Hoeneß oder Zollvergehen Rummenigge einzufügen. Das ist viel schöner als jede Beleidigung. Außerdem sind die Bayern keine Pissmannschaft. Sie sind ziemlich harte Mädchen, diese Jungs. Deshalb werden sie ja auch von den Schiedsrichtern extre beschützt.

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  2. Ich würde hier mangels eines Beitrags zur sachlichen Auseinandersetzung in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage mit dem Grundrechtsschutz zurückhaltender sein.
    Davon unabhängig: Es hat wohl keinen Sinn, darauf hinzuweisen, dass "Lichtjahre" keine Zeit-, sondern eine Entfernungsangabe ist?

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  3. Ein schöner und erhellender Aufsatz, besten Dank. Der faule Strafrechts-Praktiker schaut sich aber den Tatbestand als letztes an und spart sich das Ganze. Denn: Vorliegend dürfte die Verbalinjurie mangels Strafantrag folgenlos bleiben, § 194 StGB. 8-)

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