Wenn Spieler des abstiegsbedrohten Fußball-Bundesligisten Hannover 96 ins Abseits laufen, ist das noch verständlich. Wenn das gleiche dem Vorstand von Hannover 96 auf juristischer Ebene passiert und dabei der Abstand zur Rechtsordnung derart groß geworden ist, dass schon die Pfiffe der Gerichte nicht mehr gehört werden, sollte man über eine Auswechselung nachdenken.
Drei Tage vor der Jahreshauptversammlung wurde Hannover 96 nach entsprechenden Urteilen unter Androhung von Zwangsmitteln durch das Amtsgericht Hannover veranlasst, die persönlichen Daten aller Mitglieder an drei Vereinsmitglieder herausgeben, um diesen noch rechtzeitig vor der Jahreshauptversammlung und der Aufsichtsratswahl zu ermöglichen, allen Mitgliedern ihre Kandidaten und deren Konzepte vorzustellen.
Nach dieser klaren und keineswegs überraschenden gerichtlichen Niederlage des Vereins erhielten die Mitglieder eine E-Mail vom Verein mit der Nachricht, dass er vom Amtsgericht Hannover im einstweiligen Verfügungsverfahren und im Hauptsacheverfahren zur Herausgabe der Daten direkt an die Antragsteller und nicht nur an einen Treuhänder verurteilt worden war. Diese Entscheidung widerspreche eklatant geltendem Recht, insbesondere der Datenschutzgrundverordnung. Sie sei "in keiner Weise nachvollziehbar".
Ein geradezu entlarvendes Statement für den Vorstand, dass er die insoweit einhellige bundesdeutsche Rechtsprechung vom Amtsgericht Hannover bis hin zum Bundesgerichtshof in Zivilsachen in keiner Weise nachvollziehen kann. Das ist entweder ein Zeichen für eine schwache Auffassungsgabe oder eine taktische Lüge, um das Behindern der vereinsinternen Opposition gegenüber den Mitgliedern offensiv zu verteidigen. Für die letzte Variante spricht der Umstand, dass sich die Rechtsprechung schon seit langer Zeit klar festgelegt hat und das Prinzip der Mitgliedschaftsrechte auch für Laien recht anschaulich formuliert hat. Daher reichen wenige Zitate von einschlägigen Urteilen aus, um die Entscheidungen des Amtsgerichts Hannover tatsächlich als in jeder Weise nachvollziehbar erscheinen zu lassen:
"Nach nahezu einhelliger Meinung in der Literatur steht einem Vereinsmitglied kraft seines Mitgliedschaftsrechts ein Recht auf Einsicht in die Bücher und Urkunden des Vereins zu, wenn und soweit es ein berechtigtes Interesse darlegen kann, dem kein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse des Vereins oder berechtigte Belange der Vereinsmitglieder entgegenstehen. Zu den Büchern und Urkunden des Vereins zählt auch die Mitgliederliste. Sind die Informationen, die sich das Mitglied durch Einsicht in die Unterlagen des Vereins beschaffen kann, in einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert, kann es zum Zwecke der Unterrichtung einen Ausdruck der geforderten Informationen oder auch deren Übermittlung in elektronischer Form verlangen. In Übereinstimmung mit der Literatur billigt auch die Rechtsprechung, der sich das Berufungsgericht angeschlossen hat, nahezu einstimmig dem einzelnen Vereinsmitglied einen Anspruch auf Einsicht bzw. Herausgabe der Mitgliederliste jedenfalls dann zu, wenn es ein berechtigtes Interesse geltend machen kann. ... Unter welchen Voraussetzungen ein berechtigtes Interesse des einzelnen Vereinsmitglieds anzunehmen ist, Kenntnis von Namen und Anschriften der anderen Vereinsmitglieder zu erhalten, ist keiner abstrakt generellen Klärung zugänglich, sondern aufgrund der konkreten Umstände des einzelnen Falles zu beurteilen. Ein solches Interesse ist jedenfalls gegeben, wenn es darum geht, das nach der Satzung oder nach § 37 BGB erforderliche Stimmenquorum zu erreichen, um von dem in dieser Vorschrift geregelten Minderheitenrecht, die Einberufung einer Mitgliederversammlung zu verlangen, Gebrauch zu machen. Es kann jedoch selbstverständlich auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 37 BGB zu bejahen sein, wenn aufgrund der Umstände des konkreten Falles die in der Mitgliederliste enthaltenen Informationen ausnahmsweise erforderlich sind, um das sich aus der Mitgliedschaft ergebende Recht auf Mitwirkung an der vereinsrechtlichen Willensbildung wirkungsvoll ausüben zu können (OLG Saarbrücken aaO; OLG München, Urt. v. 15. November 1990 - 19 U 3483/90 juris Tz. 7)"." [Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.06.2010 - II ZR 219/09]
"Der Beklagte kann sich allerdings nicht auf die Herausgabe bzw. Nennung der Namen der Mitglieder - unter Schwärzung ihrer Adressen - beschränken. Denn durch die Mitteilung der Anschriften soll das die Einsichtnahme begehrende Mitglied gerade in die Lage versetzt werden, sich mit anderen Mitgliedern in Verbindung setzen zu können, um das für die Beantragung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung erforderliche Stimmenquorum zu erreichen. Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte mitgeteilt hat, dass einige seiner Mitglieder nicht die Herausgabe bzw. Mitteilung an die Kläger wünschten. Denn allein die lediglich hypothetische Möglichkeit des Missbrauchs der Einsicht in die Liste der Mitglieder beeinträchtigt nicht schon deren Belange; hinzutreten muss vielmehr, dass in der Person der Anspruchsteller konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die durch die Einsicht in die Mitgliederliste offenbarten personenbezogenen Daten für vereinsexterne Zwecke missbraucht werden könnten." [Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 30.07.2014 - 8 U 10/14]
"Weiter zutreffend hat das Berufungsgericht ein berechtigtes Interesse an der Mitgliederliste auch im Hinblick auf die geplante Kandidatur des Geschäftsführers der Klägerin für den Aufsichtsrat des Beklagten bejaht. Dieses Interesse ist entgegen der Ansicht der Revision nicht deshalb zu verneinen, weil der Geschäftsführer der Klägerin sein Desinteresse an einer Kandidatur dadurch dokumentiert habe, dass er sich in der Mitgliederversammlung am 4. Juli 2011 nicht zur Wahl für den Aufsichtsrat gestellt habe, obwohl dies nach § 15 Abs. 4 der Satzung möglich gewesen sei. Die Revision verkennt, dass eine solche Kandidatur ohne vorherige vereinsinterne Wahlwerbung aussichtslos ist (vgl. OLG Saarbrücken, NZG 2008, 677, 678). Eine erfolgversprechende Wahlwerbung vor der Abstimmung in der Mitgliederversammlung kann der Geschäftsführer der Klägerin aber nur betreiben, wenn er die Namen und die Anschriften der anderen Vereinsmitglieder kennt." [Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.04.2013 - II ZR 161/11]
"Der Senat verkennt hierbei nicht, dass anwaltliche Vertreter von Anlegern die aus Auskunftsverfahren der vorliegenden Art gewonnenen Erkenntnisse zur Kontaktaufnahme mit bislang unbekannten Anlegern nutzen können. Allein dadurch wird jedoch nicht die konkrete Gefahr eines Datenmissbrauchs begründet. Erfolgt die Kontaktaufnahme etwa im Auftrag des obsiegenden Auskunftsklägers, scheidet ein Missbrauch bereits dann aus, wenn ein Kläger den Kontakt deshalb sucht, um sich mit den anderen Anlegern über aus seiner Sicht hinsichtlich der Gesellschaft bestehende Probleme auszutauschen. Ebenso wenig ist es bedenklich, wenn ein Klägeranwalt im Auftrag seines Mandanten durch die Kontaktaufnahme mit anderen Anlegern z.B. versucht, eine Interessengemeinschaft unter den Anlegern zu organisieren. Nutzt der Anwalt eines (erfolgreich) auf Auskunft klagenden Anlegers dagegen die Daten eigenmächtig, d.h. ohne eine dahingehende Beauftragung durch den Anleger im Rahmen der Verfolgung von dessen Interessen, zur Werbung um konkrete Mandate, liegt darin zwar ein Missbrauch der Daten. Dieser kann aber zum einen nicht dem klagenden Anleger als eigener Missbrauch angelastet werden, sofern er nicht mit dem missbräuchlich Handelnden kollusiv zusammenwirkt. Zum anderen sind in diesem Fall berufsrechtliche (durch Einschaltung der Aufsicht der Rechtsanwaltskammern), wettbewerbsrechtliche (vgl. hierzu OLG München, GRUR-RR 2012, 163; OLG Köln, BeckRS 2013, 01363; allgemein Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl., § 4 Rn. 11.96; siehe auch AG Weilheim, NJW 2013, 243) und datenschutzrechtliche (siehe hierzu Paul, GWR 2011, 225, 230) Rechtsbehelfe gegeben, um gegen ein derartiges missbräuchliches Verhalten eines Anwalts vorzugehen. Ein Anlass, wegen der (bloß abstrakten) Gefahr des Missbrauchs der Daten durch seinen Anwalt dem klagenden Anleger die Auskunft zu verweigern, besteht in diesen Fällen nicht." [Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.02.2013 - II ZR 134/11]
Die plausible Darstellung der Judikatur des sich aus der Mitgliedschaft bei einem Verein ergebenden Rechts auf Mitwirkung an der vereinsrechtlichen Willensbildung als nicht nachvollziehbar zu erklären, kann damit als durchschaubarer und hoffentlich vergeblicher Versuch gewertet werden, den sich wehrenden Mitgliedern die Schuld an der vereinsinternen Misere zuzuschieben.
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Donnerstag, 21. März 2019
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