Donnerstag, 3. Januar 2013

Anwälte boykottieren geschlossen Verteidigung von Vergewaltigern aus moralischen Gründen

Die rund 2.500 im Saket District Bar Council im Süden von Neu Dehli, Indien, organisierten und zugelassenen Anwälte haben beschlossen, einen bevorstehenden Vergewaltigungsprozess als Wahlverteidiger geschlossen zu boykottieren.

Die genannte Begründung: “We have decided that no lawyer will stand up to defend the rape accused as it would be immoral to defend the case”, kann aus meiner Sicht nicht überzeugen. Die Verteidigung eines Angeklagten kann grundsätzlich nicht unmoralisch sein, da es bei einer Verteidigung stets auch darum geht, die Justizgrundrechte des Angeklagten zu wahren um das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen.

Diese Perspektive stützt Artikel 6 Abs. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach jede angeklagte Person das Recht hat, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Ein organisierter Boykott der am Gericht zugelassenen Verteidiger würde das  - in Europa bestehende - Recht zur freien Wahlverteidigung jedenfalls aushöhlen. Die persönliche Entscheidung einzelner Rechtsanwälte, zur Wahlverteidigung nicht zur Verfügung zu stehen, hätte keine derartige Qualität.

Allerdings werden sich die Anwälte des Saket District Bar Council nicht geschlossen gegen die durch ihre Entscheidung notwendig gewordene Bestimmung von Pflichtverteidigern durch das Gericht wehren. Den fünf Angeklagten droht die Todesstrafe für eine Gruppenvergewaltigung, dessen Opfer am vergangenen Wochenende an seinen schweren Verletzungen gestorben ist. Ob ein sechster Täter nach Erwachsenenstrafrecht angeklagt wird, steht noch nicht fest.

14 Kommentare:

  1. Ist das eine "Sicht" eines Strafverteidigers oder eines Mannes???

    AntwortenLöschen
  2. Sorry - falsch gelesen - Sie sind ja nur Fachanwalt für IT-Recht.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Strafverteidigungen mit informationsrechtlichem Hintergrund gehören durchaus zum Arbeitsalltag eines Fachanwalts für IT-Recht. Straftaten im Bereich des § 184b StGB rufen bei Kollegen ebenfalls ein geteiltes Echo hervor. Ich würde meine Sicht als die eines Juristen bezeichnen, der das Recht auf ein faires Verfahren jedem Angeklagten unabhängig von dem Delikt zubilligt, so wie es unsere Verfassung auch vorsieht.

      Löschen
    2. Überzeugt mich auch nicht.

      Aus meiner Sicht gibt es einen guten Grund, dass sich ein Anwalt auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert. HNO-Ärzte werden auch nicht als Kardiologen tätig ... Von manchen Bereichen sollten auch Anwälte/Kollegen einfach die Finer lassen...

      Löschen
    3. Die Ansicht teile ich grundsätzlich auch. Ich werde weder im Baurecht, Familienrecht noch Steuerrecht tätig. Von Bankrecht oder Transportrecht ganz zu schweigen. Strafsachen mit Bezug zum IT-Recht gehören dagegen klar zu meinem Tätigkeitsbereich. Davon abgesehen kann jeder Jurist die Qualität eines derartigen Verteidigerboykotts beurteilen.

      Löschen
    4. Sie sollten die Ansicht nicht nur grundsätzlich teilen:

      Denn Ihr vorliegender Eintrag lässt irgend einen Bezug zum IT-Recht nicht erkennen ...

      Löschen
    5. Reicht ein Bezug zu anwaltlicher Tätigkeit nicht aus?

      Löschen
    6. Meiner Ansicht nach reicht das nicht aus.

      Fachanwälte haben eine viel tiefere (und auch rechtlich in allen Richtungen gut durchdachte) Denkweise in ihrem Fachbereich, auch bei dem vorliegenden Thema.

      Löschen
  3. Überzeugt mich nicht. Es ist schwerlich möglich, sich nicht als "Mietmaul", sondern ausschließlich als unabhängiges Organ der Rechtspflege zu begreifen. Die meisten Anwälte fühlen sich berufen, das bestmögliche Ergebnis für ihre Mandanten zu erzielen. Das ist etwas anderes als nur ein rechtsstaatlich vertretbares Ergebnis. Daher kann ich jeden Anwalt verstehen, der sich entscheidet, bestimmte Menschen nicht anzunehmen.
    Solange die Pflichtverteidigung gewahrt ist und niemand gezwungen wird, sich an den Boykott zu halten - warum soll das nicht gehen? Man kann halt nur die Verteidiger wählen, die auch zur Verfügung stehen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich sehe die durch eine Anwaltsorganisation geschlossen abgelehnte Möglichkeit zur Wahlverteidigung als Form der Vorverurteilung wider der Unschuldsvermutung und eine Form des Gruppenzwangs, der der Ausübung des Anwaltsberufs als freier Beruf entgegensteht. Der Druck auf einzelne Mitglieder des Bar Council, nicht auszuscheren, dürfte erheblich sein. Ich sehe keine Notwendigkeit für die Anwaltsorganisiation, in diesem Fall als Gruppe einen einheitlichen Entschluss zu verkünden. Die Freiheit des Anwaltsberufs umfaßt durchaus auch die Freiheit des Einzelnen, ein Mandat abzulehnen. Im Übrigen wäre auch nichts verwerfliches daran, auch in diesem Fall das bestmögliche Ergebnis für die Angeklagten erzielen zu wollen.

      Löschen
  4. Es geht den Anwälten viel mehr darum, dem Volkszorn zu entgehen, als irgendwelche "moralische" Bedenken.

    AntwortenLöschen
  5. Lieber Herr Kollege, ich teile ja Ihre Auffassung, dass auch der schlimmste Angeklagte einen Anpruch auf Verteidigung haben sollte, nur ist das "westlicher" Luxus und so fürchte ich, dass die Europäische Menschenrechtskonvention in Indien nur wenig Eindruck machen dürfte.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Nicht nur die Europäische Menschenrechtskonvention, auch die bundesdeutsche Verfassung und erst Recht nicht meine Perspektive machen auf die Kollegen oder Bürger in Indien einen wahrnehmbaren Eindruck. Sonst hätte sich nicht eine Anwaltsorganisiation zu einem Boykott dieser Art hinreissen lassen. Allein die Existenz der Todesstrafe spricht doch für eine andere Sicht der Dinge als diejenige in Europa.

      Löschen
    2. Im Westen gibt es diesen Luxus jedoch auch nicht immer für jeden.
      Wer in Deutschland mehr Geld hat bekommt im Durchschnitt auch mehr Rechte.

      Etwa 4000 Menschen sitzen zu jeder Zeit unschuldig in deutschen Gefängnissen.

      Experten schätzen, dass 10% der Häftlinge in deutschen Gefängnissen unschuldig einsitzen und 20% aller Entscheidungen falsch sind, 12.12.2012

      Und es stellt sich immer wieder heraus, das auch manchmal die Schuldigsten, die sogar ein Geständnis abgelegt haben, dennoch unschuldig sind.
      Es wird evtl. nicht nur die Angst vor der Bevölkerung sein, sondern es ist häufig auch das fehlende Wissen auch in der Bevölkerung, dass man überhaupt die Gründe für eine sachgerechte Verteidigung kennt.
      Solche Gründe werden auch in Deutschland verschwiegen und Menschen, die solche Misstände öffentlich machen bekämpft.
      Ohne Misstände gibt es aber auch keine Besserung solcher, denn was nicht da ist kann auch nicht verbessert werden und daher haben wir auch in Deutschland kathastrophale Zustände in der Justiz.

      Löschen