Montag, 24. August 2020

verbotene Justizkritik

In einem Befangenheitsantrag schrieb der Kläger wörtlich über die von ihm abgelehnte Amtsrichterin: 

"Die Art und Weise der Beeinflussung der Zeugen und der Verhandlungsführung durch die Richterin sowie der Versuch, den Kläger von der Verhandlung auszuschließen, erinnert stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten."

und

"Die gesamte Verhandlungsführung der Richterin erinnerte eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als an ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren."

Wegen dieser Äußerungen stellte der Präsident des Amtsgerichts Bremen Strafantrag gegen den Kläger und tatsächlich wurde der von der Justiz enttäuschte Kläger wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB verurteilt, da seine Äußerungen "ohne Zweifel" einen schwerwiegenden Angriff auf die Ehre der Richterin darstellten und nicht nach § 193 StGB in Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt seien. Selbst das Landgericht Bremen verwarf die Berufung des Klägers und das Oberlandesgericht Bremen schließlich die Revision, weil oben angeführte Äußerungen strafbare Schmähkritik seien.

Dass die in Deutschlands Medienlandschaft fest verwurzelte Kollektivhysterie in Sachen NS-Zeit auch einen juristisch geschulten Amtsgerichtspräsidenten erfasst, ist ärgerlich aber nicht verwunderlich, denn das notwendige Qualifikationsmerkmal überbordenden Anstands und der regelmäßige Repräsentationszwang an der Spitze eines Amtsgerichts führen mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, Rechte der Bürger, die über das einfache Zivilrecht hinaus in verfassungsrechtlich bedeutsamen Zusammenhängen zu betrachten sind, vollends aus den Augen zu verlieren. Dass aber am Ende ein Landgericht und schließlich gar ein Oberlandesgericht die Bedeutung der Meinungsfreiheit frech unter den Teppich kehren, um die gerechtfertigte Kritik einer Prozesspartei an ihresgleichen verfassungsfremd zu sühnen, ist ein echter Skandal.

Glücklicherweise nahm sich das Bundesverfassungsgericht dieses Falls zum Az.: 1 BvR 2433/17 an und schrieb den am Verfahren beteiligten Richtern einige Merksätze auf, von denen man selbst als Laie erwarten würde, dass deren Gehalt einem an materieller Gerechtigkeit interessierten Richter nicht nur in Fleisch und Blut übergegangen ist, sondern von ihm auch abseits jeglicher durch Antipathie ausgelöster Schnappatmung konsequent berücksichtigt wird: "Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist. Die Meinungsfreiheit erlaubt es insbesondere nicht, den Beschwerdeführer auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen." 

Auf den Fall bezogen kam das Bundesverfassungsgericht zu folgendem Schluss: "Die inkriminierten Äußerungen stellen keine Schmähkritik dar. Mit seinen Vergleichen richtete sich der Beschwerdeführer gegen die Verhandlungsführung der Richterin in dem von ihm betriebenen Zivilverfahren. Dieses bildete den Anlass der Äußerungen, die im Kontext der umfangreichen Begründung eines Befangenheitsgesuchs getätigt wurden. Die Äußerungen entbehren daher insofern nicht eines sachlichen Bezugs. Sie lassen sich wegen der auf die Verhandlungsführung und nicht auf die Richterin als Person gerichteten Formulierungen nicht sinnerhaltend aus diesem Kontext lösen und erscheinen auch nicht als bloße Herabsetzung der Betroffenen." Über die Dunkelziffer von verfassungswidrig verurteilten Kritikern, die es - aus welchen Gründen auch immer - nicht bis zum Bundesverfassungsgericht schaffen, mag ich an dieser Stelle nicht einmal spekulieren.

3 Kommentare:

  1. Ein Fall für C. G. Jung: Ich habe gerade eben einen alten Artikel aus der NJW 1996 ausgegraben.

    Dort hieß es, in einem deutschen Zivilprozess sei ein Ergebnis kaum vorher zu sehen. Die rechtliche Prüfung eines Sachverhalts könne man nicht erwarten. Der Rechtsstaat befinde sich in einer Krise. Damals wütete man auch noch über die verfassungskriminelle Energie einiger Politiker, die verfassungswidrige Gesetze einfach wieder neu einbrachten. Heute würden diese Leute einen tödlichen Krampfanfall erleiden.

    Lange her. Seitdem wurden fast nur noch Rechte eingeschränkt. Das vorläufige Ende: der "Lockdown". Die Selbstabschaltung des Staates.
    Die Kollektivinhaftierung aufgrund formloser Absprache. Der Coup.

    Interessant, dass nun zulässig ist, ein Zivilgericht bzw. dessen Personal mit einem juristischen Killerkommando zu vergleichen ( Sondergericht ).

    Man sollte in diesem Kontext auch nicht vergessen, dass die westdeutsche Rechtspflege nach 1945 fast nur aus NSDAP-Mitgliedern bestand, die merkwürdigerweise ihre Parteimitgliedschaft vergessen und in einer etablierten Partei Schutz gefunden hatten. Eine tiefer gehende Analyse dieser Strukturen gab es nicht.

    Auch das Bundesinnenministerium war zu Adenauers Zeiten noch der Ansicht, nach der Wiedervereinigung müsse die Verfassung abgeschafft werden, insbesondere die Grundrechte. Eine Reihe relativ prominenter Nazis war daran beteiligt, diesbezügliche Pläne zu entwickeln. In diesem braunen Umfeld war man auch der Ansicht, das neue Deutschland müsse "Reich" heißen. Immerhin heißt die BRD noch BRD.

    Das erklärt die oft anzutreffende Neigung, Schnellschussverfahren durchzuführen. Ergebnis: geschockte Bürger, auf der Suche nach Rettung.

    AntwortenLöschen
  2. Balliet hat offenbar zunächst Probleme, den Livestream einzurichten, schimpft über mangelnde Netzabdeckung: „Scheiß drauf, es gibt ‘nen Stream. Ja, natürlich haste kein Netz!“ https://archive.vn/b7pW4 (Bild: Was uns das Video über den Killer-Nazi sagt 10.10.2019)
    Naturgesetze? Fehlanzeige!
    Hallo Herr Doktor ich habe kein C-Netz, aber Scheiß drauf ich rufe mit meinem BOSCH PorTel OF7 / C7 Cartel schon mal den Rettungswagen für die ***.
    Der Rest des angeblichen Tatgeschehen hat viele kriminalistische Situationsfehler ... aber die Details der Tat, da schaut das Gericht seit 7 Verhandlunngstagen lieber sonstwo hin.

    AntwortenLöschen