Der sogenannte Rechtsanwaltszwang ist ist entgegen dem ersten Anschein kein ausgeklügeltes Normenkonstrukt, um Rechtsanwälte zu disziplinieren oder zu bestimmten Verhaltensweisen zu zwingen, sondern der Zwang gegenüber den Parteien eines Rechtsstreits, sich vor bestimmten Gerichten von einem Rechtsanwalt vertreten lassen zu müssen.
Ein Rechtsstreit, bei dem ein solcher Zwang nach § 78 ZPO besteht, nennt sich Anwaltsprozess. Der Vertretungszwang vor einem Gericht dient zum einen dem Schutz des Gerichts vor einer Belastung mit Rechtsmitteln, deren Erfolgsaussichten die Beteiligten nach ihrer mangelnden Vorbildung nicht richtig einzuschätzen in der Lage sind und folglich auch nicht richtig und fachkundig zu führen wissen. Der Anwaltszwang soll verhindern, dass sich die davon betroffenen Gerichte mit jeglichem Unsinn auseinandersetzen müssen, den der juristische Laie für Recht hält. Damit sind in der Regel Schriftsätze, die eine Partei vor einem deutschen Landgericht, Oberlandesgericht oder gar dem Bundesgerichtshof einreicht, rechtlich vollkommen unbeachtlich.
Kritische Stimmen halten einen derartigen Vertretungszwang allerdings für unvereinbar mit höherrangigem Recht, insbesondere für einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK. Denn nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen von einem unabhängigen Gericht in einem fairen Verfahren in angemessener Frist verhandelt wird.
Es ist jedoch durch die Rechtsprechung anerkannt, dass der Zugang zum Gericht durch Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht absolut gewährleistet wird, sondern internen Beschränkungen unterliegen darf. Dabei muss aber die in Art. 6 EMRK gegebene Garantie in ihrem Wesensgehalt unangetastet bleiben. Die Beschränkungen für den Zugang zu den Gerichten müssen im Interesse einer geordneten Rechtspflege erforderlich sein, ein berechtigtes Ziel verfolgen und auch verhältnismäßig sein.
Der Anwaltszwang wird zuweilen auch als Verstoß gegen Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union angesehen, da dieser Artikel bestimmt, dass sich jede Person vor Gericht beraten, verteidigen und vertreten lassen darf. Nach Ansicht der Rechtsprechung schränkt das Recht des Einzelnen, sich vor Gericht beraten, verteidigen und vertreten zu dürfen, die Mitgliedsstaaten aber nicht darin ein, aus prozessökonomischen Gründen vor bestimmten Gerichten einen Anwaltszwang vorzuschreiben.
Schließlich verstößt der Zwang, sich in bestimmten Prozessen durch einen Anwalt vertreten lassen zu müssen auch nicht gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz, da die Möglichkeit, sich vor einem deutschen Landgericht, Oberlandesgericht oder gar dem Bundesgerichtshof Gehör zu verschaffen durch § 78 ZPO weder unzumutbar noch in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise erschwert wird.
Wer seinem Ärger oder seiner aufgestauten Frustration also durch wildes Geschreibsel vor den genannten Gerichten höchstpersönlich Luft verschaffen will, kann das natürlich gerne tun, darf aber als nicht durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei nicht erwarten, dass die seitenlangen Ausführungen oder gar eingelegte Rechtsbehelfe zu dem gewünschten Ergebnis führen. Immerhin mag es dem ein oder anderen Bürger etwas Erleichterung verschaffen, wenn er seine Leiden selbst zu Papier bringt und das Gefühl hat, wenigstens ein bisschen Beachtung zu finden.
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SEO for the win, Herr Anwalt ;-) Aber mal noch eine inhaltliche Anmerkung: genau aus dem Grund, dass jemand aus ökonomischen Gründen an der gerichtlichen Durchsetzung seiner Rechte gehindert ist, gibt es ja im Sinne des Art. 19 IV GG noch das Prozesskostenhilfeverfahren.
AntwortenLöschenGuck, was Du wieder angestellt hast, Frettchen!
AntwortenLöschenDas nervt den lieben Herrn Möbius doch...