Ein vergleichsweise harmloser Fall, wenn man diese zwei Schreiben vor dem Amtsgericht mit dem Auftreten eines Ex-Rechtsanwalts vergleicht, der vergangene Woche ohne Anwaltszulassung sein Unwesen vor dem Landgericht Frankfurt getrieben haben soll und nach Angaben des gegnerischen Mandanten von der Vorsitzenden Richterin der Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main, Frau Dr. Frost, durch unnachgiebige Fragen auf frischer Tat ertappt wurde.
In den Prozessen um zwei ähnlich lautende Äußerungen vor dem Landgericht Frankfurt zu den Aktenzeichen 2-03 O 24/20 und 2-03 O 48/20, in welchen sich der Kläger als Gegner der Mandanten des ins Schleudern geratenen Ex-Anwalts gegen den öffentlich geäußerten Vorwurf wendet, auf Facebook Profilsperrungen veranlasst zu haben, war der wehrhafte Bezichtigte wegen "durch Beschimpfungen, Verschwörungsparanoia, exzessive Unterstreichungen, Fettungen und schwerer Verständlichkeit geprägter Schriftsätze" misstrauisch geworden und hatte sich daraufhin das Rechtsanwaltsverzeichnis der Münchner Anwaltskammer angesehen.
Auch die telefonische Nachfrage beim Anwaltsverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer brachte das gleiche Ergebnis, welches die Rechtsanwaltskammer München schließlich sogar schriftlich bestätigte: Ein Hochstapler und kein Rechtsanwalt war für die "hingeschmierten dutzendseitigen Pamphlete, durchsetzt mit verfahrensfremden Aspekten und immer wieder neuen Nebenkriegsschauplätzen, die juristische Fachkenntnisse vollständig vermissen ließen," verantwortlich. Wie die Vorsitzende Richterin am Landgericht Frankfurt den strampelnden Möchtegernanwalt in der Verhandlung am 27. Mai 2021 vor Gericht entlarvte, schildert der mit juristischem Spürsinn ausgestattete Kläger wie folgt:
"Am Tag vor der Verhandlung, dem 26. Mai, fand eine Probesitzung mit der Vorsitzenden statt. Denn § 128a ZPO ist für Richter wie für Anwälte Neuland. Zu diesem Termin wurde natürlich auch der Scheinanwalt, der zwei verschiedene „Mandanten“ gegen mich „vertrat“, eingeladen. Pünktlich um 10 Uhr loggte er sich in den Konferenzraum ein. Die Vorsitzende war bereits umfassend unterrichtet, ließ aber nichts durchblicken. Sie fragte ihn lediglich, was denn mit den Vollmachten sei. Wir hatten nämlich aufgrund eines vagen Verdachts bereits zu Jahresbeginn die Rüge nach § 88 ZPO erhoben. Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt Originalvollmachten seiner angeblichen Mandanten vorlegen muss. Dies tat er seit fast einem halben Jahr nicht und er hatte es offenbar auch weiterhin nicht vor.
„Das muss sein, das gibt die ZPO vor!“, ermahnte die Vorsitzende. „Na gut!“, erwiderte der Hochstapler und sicherte ihr vor Zeugen zu, die beiden Vollmachten vorab noch am selben Tag ans Gericht zu faxen. Am Morgen des Verhandlungstags folgte dann jedoch ein Ablehnungsgesuch des Hochstaplers gegen einen beisitzenden Richter. Das Ablehnungsgesuch zielte darauf ab, eine Verlegung der Verhandlung zu erzwingen, weil die auf Kanzleipapier mit der Unterschrift „Rechtsanwalt“ versehenen Verlegungsgesuche eine Woche zuvor zurückgewiesen worden waren. Wir hatten nämlich die Kammer bereits Monate zuvor vorgewarnt und darauf hingewiesen, dass er regelmäßig kurz vor einem Verhandlungstermin Verlegung beantragt: Mal hat er kein Auto um hinzukommen, mal geht es um Krankheiten auch von Familienmitgliedern, die natürlich immer dann akut werden, wenn ein seit langem anberaumter Termin ansteht.
Als mein Anwalt und ich uns am 27. Mai, um 11:30 Uhr, einloggten, lief noch die vorangegangene Verhandlung. Und da im Rahmen von § 128a ZPO nur Parteien der jeweiligen Sache nebst Anwälten per Video zuschauen dürfen, wurden wir gebeten, uns kurz auszuloggen und dann wiederzukommen. In diesem Zusammenhang lamentierte der Hochstapler bereits, was denn nun mit seinem Befangenheitsantrag sei. Er habe im Übrigen gar keine Zeit und müsse jetzt sofort weg. Ganz ganz dringend.
Als die Verhandlung dann schließlich begann, gestand der ertappte Jurist, dass er die Zulassung „vor ein paar Monaten“ zurückgegeben habe. Die Frage "Wann genau?" beantwortete der Hochstapler erst nach dem die Vorsitzende Richterin zum Telefonhörer gegriffen hatte und erklärte, sie rufe nun die Rechtsanwaltskammer in München an. "Seit dem 8. Dezember 2020“. Da ich den Herrn in unterschiedlichen Verfahren, verteilt auf mehrere Gerichte, am Hals hatte, ist es aus meiner Perspektive unumstößlich, dass dieser Mann seit einem halben Jahr vor Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht mit Rechtsanwaltsbriefkopf und Unterschrift als „Rechtsanwalt“ aufgetreten ist. Überdies hat er in dieser Zeit jedenfalls am Land- und Oberlandesgericht etliche Prozesshandlungen vorgenommen, die mit Blick auf § 78 ZPO nur Rechtsanwälten obliegen. Dem OLG Frankfurt ließ er sogar eine Berufungsbegründung zukommen, ohne Rechtsanwalt zu sein."
Die auch in der Tagespresse nachzulesenden Vorwürfe wiegen schwer, von Titelmissbrauch und Prozessbetrug ist die Rede, doch der ins Kreuzfeuer geratene Volljurist verteidigt sich auf Facebook und erhält dort in Kommentaren wohlwollenden Zuspruch: "Ich habe unter meinem Anwaltsbriefkopf um Terminsverlegung ersucht, der so auch von Amts wegen entsprochen werden musste. Selbst das ist nicht erlaubt, ich habe damit aber niemandem geschadet."
Auch die angebliche Verhandlung vor dem Landgericht Frankfurt versucht der in Not geratene Ex-Kollege ins richtige Licht zu rücken: "Was es gab war ein informelles Gespräch - so ausdrücklich die Vorsitzende am Landgericht Frankfurt - via skype und das unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Anwaltszwang. So spektakulär, wie mein Fehlverhalten dargestellt ist, scheint es zumindest keiner meiner Freunde zu sehen, auch wenn es mir persönlich sehr leid tut. Denn ich bin noch niemals straffällig geworden. Folgen für die im Herbst geplante Wiederbeantragung meiner Zulassung könnten allerdings gegeben sein, selbst wenn das im Raum stehende Delikt sehr niedrigschwellig ist. Prozessbetrug ist es sicherlich nicht, wie jeder weiß."
Noch ist der Ausgang des in seinem Ausmaß wohl einmaligen Falles weitgehend offen und eine mögliche Strafverhandlung gegen den sündigen Juristen in weiter Ferne. Mit den Folgen eines anwaltlichen Auftretens vor Gericht mit nur angeblicher Kammerzulassung hat sich der Bundesgerichtshof in Zivilsachen allerdings schon mehrfach befassen müssen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Frage, ob der Titelschwindler vor einem Gericht mit Anwaltszwang aufgetreten ist, oder ob die Anwaltszulassung nur in einem sogenannten Parteiprozess vorgegaukelt wurde, der auch ohne anwaltliche Hilfe hätte geführt werden können.
Im Anwaltsprozess sind nach Verlust der Zulassung vorgenommene Prozesshandlungen des früheren Rechtsanwalts unwirksam, während Prozesshandlungen des Scheinanwalts im Parteiprozess von der vertretenen Partei noch nachträglich genehmigt werden können, denn diese Handlungen hätte auch ein Nichtanwalt vornehmen können. Ein Anwaltshonorar bekommt ein Hochstapler dagegen nie.