Der Öffentlichkeitsgrundsatz im deutschen Prozessrecht hat ihren Ursprung in der Idee der Kontrolle der Gerichtsbarkeit durch das Volk, in dessen Namen durch die Gerichte Recht gesprochen wird. Das Gerichtsverfassungsgesetz bestimmt in
§ 169, dass die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse grundsätzlich öffentlich ist. Dies bedeutet, das eine unbestimmte Zahl von Zuhörern ohne Rücksicht auf Herkunft oder persönliche Einstellung die Möglichkeit des Zutritts zum Gerichtsaal haben muss. Der Ausschluss der Öffentlichkeit ohne rechtfertigenden Grund ist im Strafverfahren (
§ 338 Nr. 6 StPO), im Zivilverfahren (
§ 547 Nr. 5 ZPO) und im Verwaltungsgerichtsverfahren (
§ 138 Nr. 5 VwGO) ein absoluter Revisionsgrund.
Trotzdem ist ein Andrang in den mündlichen Verhandlungen der Gerichte der Republik nur dann vorhanden, wenn es ein besonderer Prozess ist, der das Interesse der Medien auf sich zieht. Für manche Richter ist die Anwesenheit von Zuschauern im Gerichtssaal so ungewohnt, dass schon mal nachgefragt wird "und wer sind Sie?" Seit einigen Jahren haben sich bundesweit wackere Bürger die Kontrolle der Gerichte auf die Fahne geschrieben und besuchen regelmäßig Gerichtsverfahren. Deutschlands bekanntester Prozessbeobachter Rolf Schälike präsentiert seine persönliche Gerichtsberichterstattung auf der Seite "
buskeismus.de", um die Rechtsprechung gegen die Meinungsfreiheit und massive Einschränkung des Äusserungsrechts zu dokumentieren.
Dass sich manche Richter angesichts gut informierter Prozessbeobachter nicht besonders wohl fühlen, musste ein anderer Öffentlichkeitsvertreter bereits im Jahre 2002 erfahren, als er den Gerichtssaal (wiederholt) mit einem T-shirt und der Aufschrifft „Beamtendumm-Förderverein (BdF), Prozessbeobachter, Justiz-Opfer-Bürgerinitiative“ betrat. Zur Beurteilung des
Zwischenfalls muss man wissen, dass Berufsrichter aufgrund der
richterlichen Unabhängigkeit keine Beamten sind, sondern nach
Art.98 Grundgesetz in einem besonderen Dienstverhältnis zum Staat stehen und die Rechte und Pflichten der Richter im
Deutschen Richtergesetz geregelt sind.
Im
Ergebnis wurde der Auftritt des mutigen Prozessbeobachters wegen des Aufdrucks auch vom Oberlandesgericht Hamm als Ungebühr im Sinn von
§ 178 GVG gewertet, weil hinreichend deutlich geworden sei, dass sich der Text auf dem T-shirt nicht nur auf Beamte, sondern auch auf Richter beziehe. Dies sei durch den Hinweis auf die Tätigkeit als Prozessbeobachter hinreichend deutlich geworden, denn durch die Wortwahl „Beamtendumm-Förderverein“ und die gleichzeitige Mitteilung, Prozessbeobachter zu sein, könne der Text auf dem T-shirt nur dahingehend ausgelegt werden, dass Richter als „dumm“ im Sinne von unwissend, einfältig, unverständig und unvernünftig anzusehen seien, von ihnen also ein willkürliches und nicht nachvollziehbares Verhalten zu erwarten sei, das einer Kontrolle durch einen „Prozessbeobachter“ bedürfe.
Zugegeben, wer als Richter an einem Oberlandesgericht noch nicht gelernt hat, gewünschte Ergebnisse halbwegs geschickt in eine juristische Begründung zu kleiden, hat die staatstragenden Vorzüge der
richterlichen Unabhängigkeit nicht recht verstanden. Im Fall des bedauernswerten Prozessbeobachters liegt der Schlüssel zum Ergebnis der Ungebühr in der Redewendung "kann nur dahin ausgelegt werden", was soviel bedeutet wie "Es gibt keine andere Möglichkeit, als dass auch nichtbeamtete Richter von der Formulierung Beamtendumm erfasst sein sollen". Jeder Laie würde das genau anders sehen. Wenn Richter keine Beamte sind, sollen sie mit "Beamtendumm" auch nicht gemeint sein. Schließlich gibt es mehr Justiz-Opfer im täglichen Umgang mit Beamten bei Behörden als in Prozessen und weil der Öffentlichkeitsgrundsatz ein prägendes Element der deutschen Gerichtsbarkeit ist, kann die Mitteilung Prozessbeobachter zu sein auch nicht als konkreter Vorwurf gegenüber bestimmten Richtern eingeordnet werden.
Nicht immer sind falsche Entscheidungen von Gerichten so einfach zu entlarven wie die des OLG Hamm im vorliegenden Fall und den meisten Fehlentscheidungen mit Strafcharakter folgen härtere Konsequenzen als lediglich vier Tage Ordnungshaft. Die Idee, sich die Arbeit der Richter im Namen des Volkes als Prozessbeobachter öfter anzusehen, hat insofern seine Berechtigung erfahren und sollte daher als richtiger Schritt im Sinne der Schaffung von mehr Transparenz in Gerichtsprozessen verstanden werden und nicht als feindlicher Akt unerwünschter Störenfriede, die es mit Macht aus dem Gerichtsaal zu verbannen gilt.